»Es gibt ein Leben mit dem Krebs und nach dem Krebs!«
Im Gespräch mit Claudia von Kölln
Diagnose Brustkrebs. Schock, Starre, Verzweiflung? Kämpfen und sich aufbäumen? Oder versuchen, die Krankheit zu greifen, zu akzeptieren und vielleicht sogar positiv damit umzugehen? Bei Claudia von Kölln war es wohl von allem ein wenig, von letzterem dabei erstaunlich viel. Wir sprachen mit der Gemeindereferentin der Ickerner St. Antoniusgemeinde über ihre Erkrankung, ihre Erfahrungen und Erlebnisse damit, aber auch über für sie wichtige Aspekte, die ihrer Meinung nach in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu kurz kommen.
© Foto: Sümpelmann
»Ich weiß nicht, was er noch mit mir vorhat«
Vorab: Claudia von Kölln ist – reviersprachlich – schon eine echte Type! Energisch, flexibel und intelligent, offen für Neues, warmherzig und empathisch mit einem starken Gottvertrauen seit ihrem jungem Erwachsenenalter. Ihr Werdegang: ein Weg mit spannenden Windungen. Fleischereifachverkäuferin, dann Erzieherin, im Anschluss ein Studium der Sozialpädagogik mit Diplomabschluss, Fachwirtin für Erziehungswesen ... Doch irgendwie wusste sie immer: »Das war es noch nicht!« Schließlich bei einer Fahrt nach Taizé in Frankreich und zum Katholikentag in Berlin 1990 kam der ›Ruf‹: »Ja! In der Richtung musst du noch mal gucken!« Kurze Zeit später sprach sich herum: Das Bistum ist auf der Suche nach Gemeindereferentinnen. »Das wär’ doch was für dich, Claudia!«, meinten Freundinnen zu ihr. War es! Claudia von Kölln absolvierte das entsprechende Studium und erlangte pünktlich zum Weltjugendtag 2005 ihren Abschluss. Zuerst war sie in einer Gemeinde im heimischen Sauerland tätig, dann ging es nach Hagen und im Jahr 2011 schließlich nach Castrop-Rauxel Nord. Und? Sind Sie angekommen, Frau von Kölln? »Ich glaube, ich bin gelandet, andererseits weiß ich nicht, war er noch mit mir vorhat.«
»Da ist was!«
Er – das ist Gott, ist aber auch der heilige Geist, ist Jesus, die Dreifaltigkeit also. Ein Trio, das in ihrem Leben seit langem eine große Rolle spielt, das vor allem in denvergangenen anderthalb Jahren als Gesprächs-, Zufluchts- und Zuversichtspartner einen noch größeren Part einnehmen sollte als bisher. Es war ein Montagmorgen, genauer gesagt der 29. August 2016, als Claudia von Kölln unter der Dusche jenen Knoten ertastete. »Sofort war da dieses Gefühl: Das darfst du nicht auf die leichte Schulter nehmen!«, erzählt sie. »Allerdings war ich ein völlig unbeschriebenes Blatt, was Ärzte angeht. Ich hatte meiner Mutter früher schon irgendwann einmal in einem Gespräch gesagt: Sollte es mich eines Tages erwischen, dann ist das so!« Ein Schicksal gegebenenfalls anzunehmen, bedeutet allerdings nicht, Eigeninitiative, Kraft und Energie missen zu lassen … Folglich fragte Claudia von Kölln gleich am nächsten Tag im Kindergarten nebenan die Erzieherinnen um Rat: »Wo geht man denn hier zum Frauenarzt?« Kurz darauf in einer gynäkologischen Praxis angerufen. Der nächste freie Termin: Dezember. Claudia von Kölln: »Das geht nicht!« Die Antwort: »Eventuell im Oktober.« Claudia von Kölln: »Das könnte zu spät sein.« »Gut, dann kommen Sie zur Notfallsprechstunde jetzt am Freitag«, hieß es dann. Vorläufiger Befund: »Da ist was – was genau muss eine Mammographie zeigen.« Die Aussage nach der Mammographie: »Da ist auf jeden Fall etwas, in welchem Umfang, welchem Ausmaß kann nur über einen chirurgischen Eingriff geklärt werden.« Also ab nach Datteln ins Brustzentrum. Schließlich stand die Diagnose fest: Ein ›kleiner, mittelschneller und bösartiger Brustkrebs‹ war es, der auch schon im Oberschenkelknochen Metastasen gebildet hatte. Claudia von Kölln selbst nennt ihn ›mein kleiner Freund‹ – eine Formulierung, die ja doch spontan stutzen lässt.
Der ›kleine Freund‹ in der Brust
Mein Freund, der Krebs? Wie kommt man auf solch eine Namensgebung? »Es geschah in einem sehr intensiven Gespräch mit meinem alten Küster, der an Prostatakrebs erkrankt war – leider ist er vor einem Jahr verstorben«, berichtet sie. »Er sagte damals zu mir: ›Claudia, wir müssen uns den Krebs zum Freund machen.‹ Und mir leuchtete das sofort ein. Klar! Wenn es ein Freund ist, kann man besser mit ihm reden, sich mit ihm auseinandersetzen und ihn akzeptieren.« Den Krebs zu akzeptieren bedeutete für sie konsequenterweise, ihn nicht zu verheimlichen, sondern offen auch mit anderen darüber zu sprechen. »Dabei war das für mich bedeutsamste Gespräch das mit meinem Vater, der seit kurzem hier bei mir lebt. Kein einfacher Schritt, denn ich wusste, das würde für ihn nicht leicht sein. Schließlich ist es für Eltern kaum zu verkraften, wenn die Kinder vor ihnen ›gehen‹. Andererseits hat in unserer Beziehung Offenheit immer eine enorme Rolle gespielt. Also erzählte ich ihm von meinem kleinen Freund in der Brust. Er holte Luft und sagte: ›Gut, dann müssen wir da durch!‹ Ich habe eben den besten Vater, den man haben kann.«
»Ich bin mehr als ein paar Haare auf dem Kopf!«
Nun ist es das eine, von einer Krebserkrankung zu hören – an einem nahestehenden, geliebten Menschen entsprechende Veränderungen konkret wahrzunehmen ist jedoch wieder etwas völlig anderes. »Irgendwann, die Haare fielen so allmählich aus, habe ich mir – es war in einem Fachgeschäft im Münsterland – spontan eine Perücke gekauft, kurzerhand die restlichen Haare abrasiert und die Perücke aufgesetzt. Vaters erste Reaktion: ›Du hast die Haare anders!‹ Als er aber merkte, was dahintersteckte – beziehungsweise eben nicht mehr dahintersteckte – musste er schon schlucken. Die Krankheit wurde eben sichtbare Realität. Meine Antwort: Ich bin mehr als ein paar Haare auf dem Kopf!«
»Krebs ist nicht gleich Tod!«
Nicht nur der Vater wurde involviert, auch die Kollegen, die Freunde und die von ihr betreuten Gemeindemitglieder informierte Claudia von Kölln über ihre Erkrankung. »Vor allem war es mir wichtig, die Kinder ›mitzunehmen‹, mit ihnen ganz geradlinig und ehrlich über das Thema zu sprechen, nichts zu verheimlichen, aber auch nichts zu dramatisieren. Das Schöne war, dass sie ganz natürlich und selbstverständlich darauf reagiert haben. ›Das ist halt so, müssen wir gucken, wie wir damit klarkommen‹, so war die allgemeine Reaktion. Kinder sind oft stärker als man glaubt.« Bei den Erwachsenen hingegen war der Nachhall recht unterschiedlich. »So mancher reagierte irritiert, verwundert, aber auch durchaus anerkennend: ›Dass du da so offen mit umgehst‹, sagten viele. Meine Antwort: ›Ich habe mir das nicht ausgesucht, aber das Leben geht weiter, ich ziehe das jetzt durch. Krebs ist nicht gleich Tod!‹ Ich wollte, dass sie sehen, dass man damit und danach weiterleben kann.«
Therapien, Medikamente, Nebenwirkungen
Damit und danach ... Schon mit der Diagnose bekam Claudia von Köllns Leben einen völlig neuen, anderen Rhythmus: Nach Entfernung der Lymphknoten und dem Einbau des Ports im Herbst 2016 ging es alle vier Wochen zur Chemo, ab Januar 2017 sogar wöchentlich. Im Frühjahr letzten Jahres wurde schließlich der letzte Rest des Knotens entfernt, ab Mitte Mai folgten sechs Wochen lang tägliche Bestrahlungen. Therapien, Medikamente, Nebenwirkungen … »Es war anstrengend! Über zwölf Wochen hatte ich einen metallischen Geschmack im Mund.« Ihr Gegenmittel? »Lakritzbonbons und Schokolade. Das hat geholfen, vor allem wollte ich unbedingt verhindern, körperlich zu stark abzubauen und an Gewicht zu verlieren.« Schließlich war es ihr innigster Wunsch, nach wie vor möglichst aktiv zu sein und weiterhin ihre Aufgaben in der Gemeindearbeit wahrzunehmen, wenngleich es vom Bistum eine klare Auflage gab: Mitarbeit, sofern gesundheitlich möglich, ja – aber keine Vollverantwortung! »Ich habe gemacht, was mir möglich war, bin sogar bei Gruppenfahrten der Messdiener mitgefahren. Eine aufregende Erfahrung, auch und insbesondere für die jungen Menschen. Sie haben gesehen, dass nicht alles einfach war, haben aber auch wahrgenommen, dass ich es mir nicht entgehen lassen und ihnen zeigen wollte: Auch so eine Fahrt ist kein Hindernis! Dabei haben sie durchaus registriert und beobachtet, wie ich mich mühselig an Geländern hochgezogen habe, weil die Knochen nicht mehr mitgemacht haben – mal mit Perücke, mal ohne. ›Jetzt wisst ihr, wo die Sonne hinkommt, was sonst durch Haare versteckt ist‹, meinte eine Begleiterin der Messdiener. Und es war großartig; sie haben es alle völlig selbstverständlich angenommen, auch in der Pfarrei Corpus Christi selbst. Mal hieß es: Die Claudia ist in der Kirche – mit Mundschutz! Irgendwann später: Die Claudia ist in der Kirche – ohne Mundschutz!«
»Ich werde schon merken, wenn es nicht mehr geht.«
Ab Oktober 2017 war das Gröbste überstanden, vier Wochen Reha und – zack – begann Claudia von Kölln mit der Wiedereingliederung in ihren ›Job‹. »›Warum steigst du denn schon wieder ein?‹, fragten mich viele. Meine Antwort: Warum nicht? Zu Hause ist mir langweilig und ich werde schon merken, wenn es nicht mehr geht – mein Körper wird es mir sagen.« Also stand die Gemeindereferentin bereits bei der Nikolausaktion Anfang Dezember wieder mit Messdienern am Kakaostand. »Es tat mir gut, mit Leuten zu sprechen, wieder aktiver Teil der Gemeinschaft zu sein.«
»Mein Glaube trägt mich.«
Mittlerweile sind anderthalb Jahre seit der Schreckensdiagnose vergangen. Auch wenn die Prognosen äußerst positiv lauten und das Schlimmste wohl – hoffentlich, so Gott will! – überstanden ist, spürt Claudia von Kölln die ›Nachwehen‹ noch deutlich in ihrem Alltag. Lebenslang werden ihr alle drei, vier Wochen Antikörper und Knochensalze verabreicht werden, wofür sie regelmäßig in die Onkologie nach Datteln fährt. »Das ist nicht immer schön, aber macht das Leben lebenswert!« Auch ihre Motorik ist nach wie vor eingeschränkt, für sie jedoch kein Anlass, auf Bewegung zu verzichten – im Gegenteil! Doch wie geht es ihr psychisch, was ist ihre heutige Sichtweise auf den ›kleinen Freund‹ und seine Auswirkungen, möchten wir wissen. »Viele Frauen sagen, der Brustkrebs wäre das Schlimmste gewesen, was ihnen je passiert sei. Das ist es für mich nicht. Ein Einschnitt, ja! Aber nicht das Schlimmste! Für mich ging und geht es weiter, weil mein Glaube da ist, der mich trägt!«
»Reden Sie, sprechen Sie – irgendwo sitzt einer, der das aushält!«
Nun ist nicht jeder Mensch mit einem so festen Glauben gesegnet wie Claudia von Kölln. Was rät sie Betroffenen, die nicht an Gott glauben oder vielleicht sogar im Laufe der Krankheit feststellen, dass ihr Glaube nicht so stark und hilfreich ist wie erhofft? »Meine Empfehlung: Reden Sie, sprechen Sie: mit sich selber und mit anderen; irgendwo sitzt einer, der das aushält! Dabei ist völlig unerheblich, ob es sich um Christen, Andersgläubige oder Atheisten handelt. Die Empathie zählt und die Fähigkeit, andere zu unterstützen und positiv zu bestärken. Mein zweiter Tipp: Nach draußen, nach draußen, an die frische Luft! Nicht im einsamen Kämmerlein verharren und versuchen, die Last allein zu tragen, sondern den Schritt ins Leben und in die Natur wagen. Mir selbst war schnell klar: Wenn ich leben will, muss ich da durch! Vielleicht habe ich deshalb, weil es mir möglich war, aktiv zu werden und zu bleiben, alles nicht so extrem schwer empfunden.«
»Das Thema braucht mehr Öffentlichkeit!«
Gibt es etwas, das Ihnen Angst macht, fragen wir. »Wenn ich Angst habe, dann vorm Sterben – nicht vorm Tod selbst. Einen großen Wunsch habe ich allerdings: Ich möchte nach dem Vater sterben, er soll meinen Tod nicht erleiden müssen. Ansonsten gehe ich mein Leben und den Weg, den Gott für mich bereithält, sehr offen und positiv an. Was geschieht, wird geschehen, nach Karfreitag kommt Ostern ... Manchmal denke ich, dass es mich getroffen hat, weil ich es tragen und dadurch andere positiv bestärken kann. Und das ist mir ein echtes Anliegen: erkrankten Frauen zu zeigen, dass es eben ein Leben mit dem Krebs und nach dem Krebs gibt. Leider – und das ärgert mich – wird das Thema häufig sehr einseitig behandelt, wird es oft nur schwarz-weiß dargestellt und polarisiert. So bringen viele Medien die Erkrankung zwangsläufig mit Amputation zusammen, dabei geht das an der Realität vorbei. Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs, es gibt eine große Vielfalt an unterschiedlichsten Diagnosen und entsprechend vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten. Insgesamt würde ich mir eine offenere, selbstverständlichere Umgangsweise wünschen, die uns Betroffenen einiges erleichtern würde.«
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