Peter G. Schäfer: Surreale Welten
Ursprünglich war er Schaufenstergestalter. Das hat Peter G. Schäfer mit Andy Warhol gemeinsam. Wie die amerikanische Pop-Art-Ikone ist der Castroper Künstler viel in der Welt herumgereist. Bis heute wurden seine Werke in hunderten Ausstellungen und Diaporamen von Castrop bis Kuopio gezeigt. 2019 eröffnete er seine neue Galerie in der ehemaligen Metzgerei an der Hugostraße – in direkter Nachbarschaft zur ›Wurstküche‹, dem Hauptquartier des Kulturvereins Save the Planet e. V. »Corona hält uns nicht davon ab, weiterzumachen und kreativ zu sein«, sagt er. Die nächsten gemeinsamen Termine stehen bereits fest: Am 7. Dezember entführt eine Tonbildschau Beatles-Fans in die Zeit von Sgt. Pepper, am 8. Dezember dreht sich ein Gedenktag um John Lennon.
Bühnenjahre: »Das war eine ereignisreiche Zeit«
Schon der Umzug aus seiner früheren Heimat Schleswig-Holstein ins Ruhrgebiet ist eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Als junger Student beteiligte sich Peter Schäfer mit Lichtobjekten an einer Ausstellung in den Räumen der Studiobühne, am Platz des heutigen Bürgerhauses. »Der damalige WLT-Intendant Hans-Dieter Schwarze sprach mich an, weil er einen Techniker für die Lichteffekte in einem seiner Stücke brauchte. Darüber hinaus wurde auch ein Theatermaler gesucht. Da habe ich mich dann eingearbeitet.« So begab es sich, dass Peter Schäfer bereits im zarten Alter von 20 Jahren die ersten Bühnenbilder und Kostüme für das Westfälische Landestheater entwarf. Nebenher studierte er in Dortmund Pädagogik und Grafik-Design. »Bis 14 Uhr saß ich im Hörsaal, danach habe ich je nach Auftragslage bis Mitternacht beim WLT gerödelt. Das war eine ereignisreiche Zeit, in der ich viele Schauspieler kennengelernt habe. Die meisten waren umgängliche Typen, mit denen man gut reden konnte. Einige, wie Ursula Herking, kamen oft zu uns in die Werkstatt.« Auch bei Filmen wirkte er mit, so 1972 beim Tatort ›Der Fall Geisterbahn‹, ein Krimi im Kirmesmilieu, der unter der Regie von Hans-Dieter Schwarze in Castrop-Rauxel gedreht wurde. Für Vorschulkinder gründete er beim WLT eine ›Malstube‹. »Viele der hier entstandenen Motive wurden für Kindertheaterstücke verwendet, andere hingen gerahmt im Evangelischen Krankenhaus.«
Von der Mona Lisa bis Coca-Cola
Dann, 1974, endete seine Ära am Theater – Peter Schäfer wurde Kunsterzieher am Adalbert-Stifter-Gymnasium, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2013 blieb. Berufsbegleitend studierte er Anthroposophie in Wanne-Eickel, und diese Erkenntnisse flossen auch in seine Lehre am ASG mit ein. »Ich habe meinen Unterricht immer mit Musik, Gedichten und Geschichten oder auch Außenaktionen kombiniert«, erinnert er sich. »Beispielsweise haben wir einen gotischen Dom mit Holzstangen auf dem Schulhof nachgebaut. Das wissen die heute noch.« Sein Interesse an den unterschiedlichen künstlerischen Gattungen prägte auch sein privates kreatives Schaffen. Typische Motive aus Malerei, Werbegrafik, Bildhauerei und Architektur, aber auch solche aus der Natur finden sich in seinen fast schon surreal anmutenden Collagen wieder. »In der Werbung wurde alles schon mal gemacht«, erklärt er. »Trotzdem kann man innovativ sein, indem man bekannte Zeichen neu einbettet.« Etwa das Porträt von Mona Lisa in eine Uferlandschaft oder Coca-Cola-Flaschen in die berühmte Abendmahl-Formation. Letzteres rief sogar den US-amerikanischen Konzern auf den Plan, der für die entsprechende Ausstellung einen Coca-Cola-Doppelstockbus und einen Kühlschrank voller koffeinhaltiger Kaltgetränke stiftete.
»Ich mag die zurückhaltende Mentalität der finnischen Bevölkerung«
Andere Bilder führen den Betrachter weg aus der rätselhaften Traumkulisse, hinein in die schroffe Einsamkeit des hohen Nordens. »Mein Vater war in Lappland im Krieg. Er hat nicht viel erzählt, aber manches doch. Etwa, wie freundlich er von den Menschen aufgenommen wurde.« 1981 reiste Peter Schäfer erstmals selbst durch Skandinavien. Hier stolperte er nicht nur über Rentiere, sondern – in Castrop-Rauxels finnischer Partnerstadt Kuopio – auch über seinen damaligen Bürgermeister. »Ich habe Fotos vom Rathaus gemacht, plötzlich kam Hugo Paulikat raus: Was machen Sie denn hier? Sie müssen sich ins goldene Buch eintragen!« Eine schicksalhafte Zufallsbegegnung, aus der sich drei Ausstellungen in Kuopio und viele persönliche Kontakte ergaben. Peter Schäfer wurde 1983 Mitbegründer der Deutsch-Finnischen-Gesellschaft und organisierte jahrelang den Schüleraustausch für NRW. »Ich mag die zurückhaltende Mentalität der finnischen Bevölkerung, die Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit. Und die Natur: Man kann eine Woche durch Lappland laufen und keine Menschenseele sehen.« Inspirierende Momente, die sich in seinen Bildwelten widerspiegeln …
»Aus Versehen« zum Preisträger
Von 1977 bis 1988 führte Peter Schäfer am Stadtgarten in Castrop-Rauxel die damals einzige Produzentengalerie Deutschlands. Das Satire-Magazin ›Pardon‹ und das ›Zoom-Magazin Kreativer Fotografie‹ stellten seine Werke vor. »1983 wurde ich aus Versehen Preisträger für Schulfotografie des Landes NRW«, verrät er mit einem Schmunzeln. »Ich hatte Schülerarbeiten eingereicht, worauf mir vorgeschlagen wurde, ebenfalls mitzumachen, weil der Wettbewerb auch für Lehrer ausgeschrieben war. Als unser Rektor von der Preisverleihung hörte, meinte er: ›Wie? Sie haben Kontakt zum Kultusminister? Können Sie eine Botschaft der Schulleitung überbringen?‹ Das habe ich gerne gemacht und den Minister obendrein zum Kaffee hier in Castrop-Rauxel eingeladen. Er ist sogar gekommen!« Neben Fotos und Collagen widmet er sich seit 1983 den sogenannten ›Diaporamen‹: Tonbildschauen in Überblendungstechnik, bei denen Sprache, Musik, Geräusche und Bilder zu einer dramaturgischen Einheit verschmelzen. »Ein Diaporama ist kein Reiseratgeber«, betont er. »Vielmehr geht es darum, in die Szenerie einzusinken. Nach sieben Minuten gelangt man in eine Art Meditation. Nach solchen Veranstaltungen klingelt bei mir oft noch Tage später das Telefon, weil die Gäste ihre Erfahrung erst dann verarbeitet haben.«
»Man kann in der Kunst so einiges auffangen«
Auch soziale und ökologische Fragen liegen dem weltoffenen Künstler am Herzen. Das Schicksal der Rentiere beispielsweise, die in Lappland durch die Windparks von ihren natürlichen Wanderrouten verdrängt werden. Ab 2000 leitete er in Kooperation mit der Drogenberatungsstelle Recklinghausen und seinem guten Freund Franz Niewelt von Save the Planet e. V. über zehn Jahre eine Siebdruck-Werkstatt (Motto ›Drucken statt Drücken‹) und wirkte zehn Jahre bei der ›Say No-Party‹ in der Europahalle mit. Im Rahmen der Sozialen Stadt Habinghorst beteiligte er sich 2014 am Projekt ›Schaufensterwelten‹, bei dem das ehemalige KiK-Ladenlokal zum Quartier für Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Künstlertreffen umgestaltet wurde. 2016 initiierte er, ebenfalls mit Save the Planet, das vom Land NRW geförderte Malprojekt ›Heimat‹ für jugendliche Deutsche, Migranten und Flüchtlinge. »Im großen Flüchtlingszelt in Habinghorst haben damals bis zu 800 Menschen gewohnt. Wir wollten mal gucken, was die so machen, und haben festgestellt: Sie haben keine Jobs, sitzen den ganzen Tag rum und wissen nichts mit sich anzufangen. So entstand die Idee zum Projekt. Immer mehr junge Leute kamen dazu, brachten ihre Familien mit.« Er lächelt. »Man kann in der Kunst so einiges auffangen, sich mit Konfliktthemen auseinandersetzen und diese ernst nehmen – egal, ob es um Drogen, Verlusterfahrungen oder Pubertätsprobleme geht.«
Kunst und Kultur in Habinghorst
Mit der neuen Galerie an der Hugostraße wollen Peter Schäfer und Franz Niewelt im Bereich der ›Wurstküche‹ einen weiteren Ort zum Eintreten schaffen. Einfach reinschneien und guten Tag sagen, lautet die Devise. »Wir interessieren uns für die Leute und nehmen ihre Anregungen auf.« Eigentlich ist der Standort perfekt für ein soziokulturelles Zentrum. Manches passiert schon. Schließlich engagiert sich der Verein Save the Planet seit Jahren für junge Talente und die Kultur vor Ort. Aber es ist noch viel mehr möglich – auch im Hinblick auf die Zeit nach Corona. Momentan finden größere Kulturveranstaltungen wenn möglich open air statt. Die Organisatoren sehen es pragmatisch: »Wir haben hier eine tolle Hinterhofatmosphäre.« Das Beatles-Diaporama wurde aus Platzgründen aus der Galerie in die Wurstküche verlegt, eine Reservierung ist wegen der begrenzten Plätze sinnvoll. Wer sich aber einfach nur austauschen oder einen Blick auf die Kunstwerke des ehemaligen Schaufenstergestalters werfen will, ist zu den Öffnungszeiten der Galerie auch ohne Anmeldung herzlich willkommen.
