»Ramadan ist auch ein Monat des Spendens und Teilens, eine Zeit der Begegnung und Solidarität«
Interview mit Süleyman Karayel
Alle Jahre wieder feiern Muslime auf der ganzen Welt Ramadan. In diesem Jahr wurde vom 16. Mai bis zum 14. Juni gefastet. Wir sprachen mit Süleyman Karayel, dem Religionsbeauftragten der Lünen Selimiye Moschee.
Woher stammt die alte Tradition, welchem Zweck dient sie?
Der Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. In ihm wurde nach muslimischem Glauben der Koran herabgesandt. Für uns ist es daher eine besondere und gesegnete Zeit, ähnlich wie Weihnachten für die Christen oder Hanukkah für die Juden.
Wie wird gefastet und warum?
Das Fasten ist einer der fünf Hauptpflichten der Muslime und wird als Gottesdienst durchgeführt, um Körper und Seele zu reinigen. Verzichtet wird von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr. Und das 30 Tage lang. Man sollte sich außerdem noch mehr als sonst bemühen, keine Sünden zu begehen. Darüber hinaus sind wir mit unseren Gedanken bei den Bedürftigen, die Hunger und Durst leiden. Ramadan ist auch ein Monat des Spendens und des Teilens.
Ist der Verzicht auf Wasser im Hochsommer nicht riskant?
Definitiv nicht, da man vor dem Beginn des Fastens zwei bis drei Liter Wasser trinkt und somit dem Körper das gibt, was er braucht. Ich muss zwar zugeben, dass es in den ersten Tagen nicht einfach ist. Aber man gewöhnt sich daran. Außerdem soll man sein Fasten brechen, wenn es einem schlecht geht. Gesundheitlich beeinträchtigte und altersschwache Muslime dürfen überhaupt nicht fasten. Ich möchte das ausdrücklich betonen: Sie dürfen nicht! Denn laut unserem Glauben ist unser Körper ein anvertrautes Gut Allahs. Wir sind verpflichtet, ihn gesund zu halten. Auch Reisende und hart arbeitende Menschen, schwangere, stillende oder mensturierende Frauen sowie Kinder sind von dem Gebot ausgenommen. Wobei ich auch sagen muss, dass Kinder es sehr interessant finden wie Erwachsene zu fasten. Deshalb erlauben manche Eltern ihren Kindern, einige Stunden z. B. bis mittags zu fasten, damit sie sich nach und nach daran gewöhnen können.
Seit wann fasten Sie regelmäßig? Erinnern Sie sich noch an Ihr ›erstes Mal‹?
Ich faste seit ich 15 bin. Darauf habe ich mich immer sehr gefreut. Es war spannend, mitten in der Nacht aufzustehen und zu sehen, dass meine ganze Familie sich am Frühstückstisch versammelt hat.
Wie geht es Ihnen heute? Wie lange ist Ihr Frühstück her und haben Sie jetzt gerade Magenknurren?
Meine Frau und ich stehen um 3 Uhr auf und bereiten gemeinsam ein Frühstück vor. Heute Morgen gab es für mich eine Scheibe Vollkornbrot mit Brotaufstrich, drei Datteln – Datteln dürfen im Ramadan nicht fehlen, weil sie sehr viele Ballaststoffe liefern –, eine Feige mit Walnuss, ein Ei, Wassermelone und natürlich reichlich Wasser. Auch wenn man keinen Hunger hat, ist das Wasser sehr wichtig. Jetzt ist es 20.43 Uhr, und mir geht es super. Ich weiß, dass ich in einer Stunde etwas essen und trinken darf.
Wie wirkt sich der Verzicht auf die Arbeit aus? Lässt die Energie nach?
Es gibt zahlreiche Forschungen, die wissenschaftlich beweisen, dass ein leerer Magen die Konzentration sogar positiv beeinflusst. Das kann ich wirklich nur bestätigen. In meiner Schul- und Studienzeit habe ich im Monat Ramadan immer bessere Noten geschrieben. Wer allerdings harte körperliche Arbeit verrichtet, soll nicht fasten, um seine Gesundheit nicht zu gefährden. Als Alternative kann ein solcher Mensch das Fasten nachholen, wenn er z. B. freie Tage hat.
Worauf freuen Sie sich heute Abend?
Abends bin ich immer zu Gast bei der Ditib Selimiye Moschee. Die Gemeinde hat für einen Monat einen Chefkoch aus der Türkei eingestellt und lädt jeden Tag kostenfrei zum ›Iftar‹, dem Fastenbrechen. Hier sind auch viele Flüchtlinge anwesend. Es herrscht eine tolle Atmosphäre, man lernt immer wieder neue Menschen kennen.
Klingt nach einer geselligen Angelegenheit …
Der Fastenmonat Ramadan ist nicht nur eine Zeit der Besinnung und Enthaltsamkeit, sondern auch eine Zeit der Begegnung und Toleranz, der Solidarität und des Zusammenhalts. Man ist ständig bei Freunden, Verwandten oder Nachbarn eingeladen, oder man lädt sie bei sich ein. Wir als Lünen Selimiye Moschee würden uns doppelt freuen, beim Fastenbrechen auch nichtmuslimische Bürgerinnen und Bürger willkommen zu heißen. Das gemeinsame Essen führt Menschen verschiedenster Religionen, Berufe und politischer Ansichten zusammen und baut Brücken für ein harmonisches Miteinander.
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