Tolkienhafte Gestalten in Lünen
Von Drachen, Trollen und Gargoyles …
Wachsam mustert mich der Drache aus seinen bernsteinfarbenen Echsenaugen. Man könnte meinen, dass er jeden Moment mit den Flügeln schlägt, um in den Himmel emporzuschießen und seine feuerspeienden Runden über den Dächern zu ziehen. Nein, wir befinden uns nicht etwa in Mittelerde, sondern im Garten des Lüner Künstlers Ulrich Fehring. Doch Drachen, Trolle und andere fantastische Kreaturen gibt es auch hier zuhauf.
Gang durch Haus und Garten wird zur Museumstour
»Das war schon immer mein Thema«, berichtet der Polizist im Ruhestand. »Ich lese alles, was mit Fantasy zu tun hat. Mein Neffe hat seine Doktorarbeit über Tolkien verfasst. Anscheinend liegt es irgendwie in der Familie.« Seit 1972 ist Ulrich Fehring künstlerisch aktiv, hat unzählige Ausstellungen in ganz Deutschland bestritten. Neben fantasievollen Skulpturen aus Messing, Kupfer, Aluminium und Sandstein gehören Schmuck, kreative Möbelstücke und Ölbilder zu seinem Repertoire. So wird der Gang durch Haus und Garten zur richtiggehenden Museumstour.
Elektrisierend: Bilder, die mit 20.000 Volt Strom gemalt wurden
Dabei lässt sich die Ausrichtung des Künstlers nicht unbedingt in eine Schublade packen: Hier sieht man farbenfrohe Figuren und Gebäude im Stil naiver Malerei, dort Motive, die an Engel erinnern, dann wieder sind gesellschaftspolitische Themen wie Mauerfall, Irakkrieg oder Bergbau klar zu erkennen. »Ich male ausschließlich mit Öl. Acryl ist zwar einfacher, günstiger, schneller. Dafür entwickeln Ölbilder, die in vier oder fünf Schichten entstehen, bei veränderten Lichtverhältnissen eine ganz eigene Stimmung.« Teilweise sind bereits die Rahmen kleine Kunstwerke für sich: Sie bestehen beispielsweise aus Spiegelglas, Kohle oder dem Stoff alter Zechenhemden. Geradezu ›elektrisierend‹: die Bilder, die mithilfe von 20.000 Volt Strom gemalt wurden. »Ich habe Leinwände mit Schlagmetall beschichtet, danach die Ölfarben aufgetragen. Am Bildrand wird dann ein Minuspol befestigt. Der hochfrequente Strom sorgt für Funken, durch die sich die Farben verteilen.«
Schätze der Vergangenheit: Schmuck aus Mammutelfenbein
Im Wohnzimmer bleibt der Blick an einer Vitrine hängen, die mit Ringen, Armreifen, Gürteln und Kettenanhängern gefüllt ist. Neben Materialien wie Edelstahl, Messing und Kupfer fallen Schmuckstücke aus einer glänzenden weißen Substanz auf. Moment – ist das etwa Elfenbein? »Genauer gesagt handelt es sich um Mammutelfenbein«, erklärt Ulrich Fehring. »Das ist legal, weil die Tiere seit 15.000 Jahren ausgestorben sind. Durch den Klimawandel werden die von der Kälte konservierten Überreste jetzt nach und nach vom Permafrostboden freigegeben und von russischen Schatzjägern über das Internet verkauft. Mammutelfenbein hat übrigens eine viel feinere Struktur als das von Elefanten.«
Über der Flamme geschmiedet: Gestalten aus Kupfer und Messing
Überraschend fein gearbeitet sind auch die Gestalten aus Kupfer und Messing, denen Ulrich Fehring in mühsamer Handarbeit märchenhaftes Leben eingehaucht hat. Jedes einzelne dieser bezaubernden Schwergewichte wurde über der offenen Flamme geschmiedet, mit verblüffendem Ergebnis: hier ein Troll, dessen Mantel scheinbar Falten wirft und an dessen Stiefeln sogar die Nähte erkennbar sind, dort ein geflügeltes Untier, das zwar statt Feuer Wasser speit, aber in der grünen Umgebung des Gartens ziemlich real wirkt. »Ich habe jede einzelne Schuppe ausgeschnitten und verlötet.« Der Schöpfer schmunzelt: »Viele Besucher erschrecken vor den Augen – es handelt sich tatsächlich um lebensechte Glasaugen.«
»Ehe ich mich versehe habe ich einen Drachen oder einen Troll vor mir.«
Je genauer man sich umschaut, desto mehr wundersame Wesen entdeckt man in dieser verwunschenen Hinterhausoase, halb versteckt zwischen Gräsern, Büschen und Farnwedeln: geflügelte Diener und Gargoyle-hafte Torwächter, ein freundlicher Buddha und eine Granitschlange, Blumentöpfe mit Gesichtern und lauschende Kobolde mit übergroßen Ohren. Viele der Figuren bestehen aus Sandstein, ein Material, das härter als Marmor ist und das der Künstler aus den abgebrochenen Treppenstufen alter Zechenhäuser gewonnen hat. »Wenn ich mit der Arbeit anfange, weiß ich meistens selbst noch nicht, was daraus entsteht. Es passiert einfach. Und ehe ich mich versehe habe ich einen Drachen oder einen Troll vor mir.«
Alle Fotos: Eberhard Kamm
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