Mitten aussem Leben ODER »Du schaffst das schon!«
Ich weiß es noch wie heute: Es war ein Montagvormittag im Februar 1980, 1990, 2000, 2010, 2020 … – suchen Sie sich einfach Ihr Lieblingsjahr aus. Völlig beseelt raste ich nach Hause in die dort ebenfalls befindliche Zahnarztpraxis meines Vaters, wedelte mit dem graugrünen ›Lappen‹ in der Luft rum und jauchzte: »Ich hab’ ihn, ich hab’ ihn, ich habe meinen Führerschein!« Vater strahlte mich stolz an, klopfte mir anerkennend auf die Schulter und meinte: »Wusst’ ich’s doch: Du schaffst das, Antje! Aber warte mal eben, ich muss kurz etwas holen.«
Zack, weg war er, doch schon zwei, drei Minuten später stand er wieder vor mir und reichte mir einen Schlüssel. »Guck mal, Antje, das ist der Autoschlüssel von Muttis Polo. Tu mir doch bitte mal den Gefallen und fahr mit dem Wagen zu unserer Lieblingstankstelle, du weißt ja, welche ich meine. Und da tankst du bitte auf, prüfst den Ölstand und den Reifendruck.« »Wie jetzt, Papa, ich soll da ganz alleine hin? Und dann noch Öl und Reifen checken? Ich habe doch null Ahnung, wie das geht.« »Doch, doch, das schaffst du, da bin ich mir sicher!«
Völlig verdattert, ein klein wenig nervös, aber irgendwie auch stolz wie Bolle setzte ich mich in den Polo und fuhr los. An der Tanke wurde mir dann ebenfalls herzlich gratuliert, und selbstverständlich wiesen mich die Mitarbeiter in meine Aufgaben ein. Nein, die nahmen es mir nicht ab, sondern sie ließen mich machen. Ich nickte mir innerlich zu und trat selbstbewusst und souverän die Heimreise an. Als ich Papa von meiner erfolgreichen Tour berichtete, nickte er mir zu und sagte: »Na siehst du, geht doch, wusste ich doch! Aber warte mal einen kleinen Moment, ich hab’ da noch was auf dem Herzen.« Ein weiteres Mal verließ der Kerl den Raum, um kurzdrauf wieder vor mir zu stehen – in der Hand Schlüssel Nummer zwei. »So, noch eine Bitte. Fahr doch jetzt mit meinem Wagen noch mal zur Tankstelle. Wie gehabt: Tanken, Öl überprüfen und Reifendruck messen.« Mir blieb die Spucke weg. »Moment mal, Papa, das ist doch nicht dein Ernst! Ich soll mit dem Mercedes fahren? Alleine fahren? Mit dem Mercedes? Diesem Riesen-Merceeeeedes?!?« Papa reagierte völlig gelassen und selbstverständlich. »Sicher, warum nicht? Du schaffst das schon, kein Ding.«
Hui, das war für mich dann aber doch eine Herausforderung. Die Straßen erschienen plötzlich doppelt so schmal wie zuvor, und auch die Technik war eine völlig andere. Mir kam es so vor, dass der Wagen mit einem Sprung Hunderte von Metern nach vorne schoss, wenn ich nur daran dachte, das Gaspedal zu betätigen. Und auch das Lenkrad hatte es in sich: Wenn ich es gerade mal fünf Millimeter nach rechts oder links bewegte, wurden von jetzt auf gleich massive Richtungswechsel ausgelöst. Egal, irgendwann waren die Zapfsäulen in Sicht – puh! Wobei diesmal der Tankstellenleiter schon sichtlich irritiert war, als die kleine Maus mit dem Kfz-Giganten um die Ecke kam. Ich erklärte ihm, dass dies mein Vater sich von mir gewünscht hat, und prompt lächelten er und die Kollegen sich vielsagend an. Mir sagte dieses Grinsen damals eher nichts, aber darum ging es für mich ja auch nicht. Vielmehr ging es um besagtes Benzin, um Öl und Reifendruck. Wieder standen sie mir bei meinen Checks beratend zur Seite, sodass ich kurzdrauf wieder Richtung Papa fuhr – erhobenen Hauptes mit stolzgeschwellter Brust. Papas Kommentar bei meiner Ankunft: »Sag’ ich doch: Du schaffst das!«
Am darauffolgenden Freitag wollten Vater und ich einen sehr guten Freund von ihm in Rheinland-Pfalz besuchen. Instinktiv öffnete ich die Beifahrertür, als Vater sagt: »O ne, Antje, diesmal bis du dran. Du hast ja jetzt ‘nen Führerschein, und abgesehen davon bin ich ein klein bisschen platt. Fahr du bitte.« »O. k., Papa, mache ich gerne. Aber ehrlich gesagt, habe ich ein bisschen Angst vor der Auffahrt auf die Autobahn. Ich finde das so schwierig rauszufinden, wie doll ich beschleunigen muss, um gescheit in die Autolücken reinzukommen. Kannst du nicht den ersten Part übernehmen, und ich fahre später auf dem Land?« Vater: »Tut mir leid, das geht nicht, ich bin zu müde. Aber keine Bange, du schaffst das schon!«
Ich also zähneknirschend hinters Lenkrad und ab die Post. Kurz vor der Autobahn ging mir da aber schon die Düse, und ich schaute besorgt und ratsuchend zu Vaddern hin. Was soll ich sagen? Die Type hatte den Kopf zur Seite gelegt und schlief. Er schlief!!! Ich also mein Bestes gegeben und diverse Beschleunigungsspuren der unterschiedlichen Autobahnen peu à peu immer sicherer gemeistert. Tja, ich schaff das schon, ne Papa?
Tatsache ist: Er hat selbstverständlich definitiv nicht geschlafen, hatte sein inneres Auge stets auf mich gerichtet. Aber er wollte mir mit seiner ›Nicht-Aktion‹ Selbstvertrauen und Zuversicht schenken, ebenso mit den Solo-Tank-Checks an meinem allerersten offiziellen Fahrtag. Er hat es geschafft. Ja, Papa, dies gilt schließlich seit jeher für dich: Du schaffst das schon!
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