Vom Zahnwurm bis zur Zahnfee
Zähne im Wandel der Zeit
Wodurch unterscheidet sich der Mensch vom Tier? Er benutzt Zahnpasta, im Idealfall dreimal täglich! Das ist mehr als eine Frage der Gesundheit, denn ansehnliche weiße Zähne stehen in unserer westlichen Gesellschaft für Wohlstand und Attraktivität. In vielen Vampirfilmen haben sie sogar eine erotische Komponente. Gleichzeitig sind die blitzenden, blutverschmierten Beißer eines Grafen Dracula wie geschaffen, um jene tief verwurzelten Urängste wieder zu erwecken, die vermutlich schon seit der Zeit des Säbelzahntigers in uns schlummern. Im Maul der Bestie werden Zähne zur tödlichen Waffe. Ja, es gibt wohl kaum ein körperliches Merkmal, das derart widersprüchlich mit Symbolik aufgeladen ist. Grund genug, dem Thema ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Knochen gegen Karies
In Sachen Mundhygiene sind wir unseren Vorfahren – zum Glück – weit voraus. Zwar verwendeten bereits die Römer Räucherungen, Spülungen, Tinkturen, Einlagen und Kaumittel, um ihre Zähne zu reinigen oder Karies und Parodontitis zu behandeln. Allerdings griffen sie dabei auf teils fragwürdige Ingredienzen wie gemahlenes Glas, Knochen, Muschelschalen oder gar menschlichen Urin zurück. Für Zahnschmerzen machte man einst den Zahnwurm verantwortlich. Die mittelalterliche Äbtissin und Heilerin Hildegard von Bingen empfahl, diesen unliebsamen Dämonen, der an den Zähnen des Menschen nage, mit dem Rauch von Aloe und Myrrhe auszutreiben. Auch der Sud aus Wermut und Eisenkraut oder ein Pulver aus zerkleinerten Fischknochen und Salz sollte lindernd sein.
Von ›Knochenbrechern‹ und Barbieren
Wenn das nicht half, rückte man den Patienten mit Haken und Zangen zu Leibe: Der Zahn musste raus. Doch die wenigsten Leute konnten sich damals den Arztbesuch leisten. Auf Jahrmärkten boten umherziehende ›Zahnbrecher‹ ihre Dienste feil, welche die Prozedur in aller Öffentlichkeit und ohne Narkose durchführten. Oder man ging zu einem Priester oder Bader. Etwas später entstand der Berufsstand der Barbiere, die ihre Kunden nicht nur frisierten, sondern auch faule Zähne zogen, Wunden verarzteten, Aderlass vornahmen und Knochenbrüche richteten. Trotz schmerzvoller Behandlungen war Prophylaxe für die meisten Menschen ein Fremdwort. Vereinzelt verwendete man im neuzeitlichen Europa Zahnbürsten aus Knochen und Rosshaar, oder es wurde mit kleinen Schwämmchen gearbeitet. Der Engländer William Addis gründete 1780 die erste Firma, die Zahnbürsten professionell aus Kuhknochen und -borsten herstellte. Zunächst blieb diese Form der Zahnpflege den Wohlhabenden vorbehalten – und war vor allem Frauensache. Unter Herren galt das Zähneputzen als dekadent.
›Bissige‹ Tiere: Moskitos, Haie, Seegurken
Im menschlichen Körper ist Zahnschmelz das härteste Material: Es hat einen ähnlichen Härtegrad wie manche Schmucksteine und einen Schmelzpunkt von 1.620 Grad Celsius. Während das Gebiss einer erwachsenen Person aus 32 Zähnen besteht, haben Krokodile rund 80. Der weiße Hai kommt sogar auf bis 300, die in mehreren Reihen im sogenannten Revolvergebiss angeordnet sind und ständig ausgetauscht werden. Insgesamt können Haie im Laufe ihres Lebens bis zu 30.000 Zähne ausfallen und nachwachsen. Die Evolution hat aber nicht nur gefährliche Jäger hervorgebracht. Einen obskuren vampirartigen Zahnschmuck trägt das Moschustier in den Bergen Südasiens spazieren: Anstelle von Geweihen bilden die männlichen Vertreter dieser seltenen, antilopenartigen Spezies lange, spitze Eckzähne heran. Die Seegurke am Meeresgrund wurde von der Natur ebenfalls mit einem messerscharfen Verteidigungsmechanismus beschenkt: Sie hat winzige Kalkzähne im Hintern, mit denen sie unliebsame Parasiten wie den Eingeweidefisch abwehrt. Und auch die allerkleinsten Lebewesen können durchaus bissig sein: Moskitos haben angeblich 47 Zähne, Schnecken und andere Weichtiere sogar bis zu 800.000, die auf ihrer Raspelzunge wachsen.
Dracula lässt grüßen
Vielleicht ist es solchen und anderen Kuriositäten zu verdanken, dass die Wissenschaft der Zähne seit jeher von Aberglauben durchdrungen ist. Schon im 17. Jahrhundert erzählte man sich im südosteuropäischen Raum von dunklen Nachtgespenstern, die aus ihren Gräbern kriechen und den Schlafenden an die Kehle fallen – lange bevor mit dem transsylvanischen Grafen Dracula eine Ikone der Horrorliteratur die Kinoleinwände eroberte. Der Begriff ›Vampir‹ setzt sich übrigens aus den Worten ›dham‹ (Zahn) und ›pir‹ (trinken) zusammen. Während Hollywood-Schauspieler Christopher Lee mit spitzen Eckzähnen und edler Robe zum Popstar avancierte, bekamen wir in ›Nosferatu‹ einen buckeligen Blutsauger mit nagetierartigen Schneidezähnen zu sehen. Der Verlust eines Zahns im Traum steht bis heute symbolisch für Verlust und Tod. Aber es gibt zum Glück auch schöne Legenden wie die von der Zahnfee (alternativ im romanischen Sprachraum: Zahnmaus), die jedes Kind mit kleinen Geschenken überrascht, das seinen ausgefallenen Milchzahn nachts unter das Kopfkissen legt.
Laut einer Studie setzen viele Menschen ihre Beißer für andere Tätigkeiten als das Kauen ein. Am häufigsten werden sie demnach auch als ›Schere‹ missbraucht, etwa zum Zerreißen von Klebeband oder um die Fingernägel zu kürzen. Manche Studienteilnehmer gaben an, mithilfe des Gebisses Gegenstände von A nach B zu transportieren, sollten sie gerade keine Hand freihaben. Andere nutzen es für das Öffnen von Flaschen oder das Aufziehen von Reißverschlüssen. Hierdurch können Zahnschmelz sowie Kronen, Implantate und Füllungen beschädigt werden, warnen Experten. Daher ist von einer derartigen Zweckentfremdung der Zähne dringend abzuraten.
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