Seit 100 Jahren tritt Lünen in die Pedale
Mit drei Vereinen fing es an – Heute gibt der Radsportverein ›Lippe 23‹ das Tempo vor
Straßenrennen, Radbahnen, internationale Starts und Stars, aber auch Radtouristik für die gesamte Familie – vieles haben die Pedalsportler aus der Lippestadt schon erlebt.
100 Jahre alt – oder besser jung – wird der Radsport in Lünen. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Erster Starter soll nach dem Ersten Weltkrieg um 1918 oder etwas später der Arbeitersportverein gewesen sein. 1923 gründete sich der Radclub (RC) Wittler Wethmar. 1927 spaltete sich davon der RC Diamant mit Heinrich und Johann Büscher, Otto und August Häseler, Hugo Meier sowie Aloys Tegethoff ab. Radpionier Tegethoff und sein Team richteten 1929 das erste Straßenrennen in Lünen aus – den ›Diamantpreis von Westfalen‹ mit dem damaligen Weltmeister Erich Metze am Start. Ein Jahr später wurde über 170 Kilometer um den ›Großen Straßenpreis von Lünen‹ gekämpft.
Die ›Geist‹ und die ›Geister-Bahn‹
Am Cappenberger See entstand die erste Radrennbahn Lünens, ein 400-m-Rundkurs, nicht asphaltiert, nur auf Sand. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es mit vereinten Kräften weiter: Der RC Wittler Wethmar und der RC Diamant fusionierten unter dem Namen Radsportverein (RSV) Lünen ›Lippe 23‹. Über dieses und das folgende Geschehen berichten der Lüner Stadtsportverband und der RSV in ihren Chroniken. Nachfolger der Bahn am See wurde der neue Kurs in der ›Geist‹, dort, wo heute der Platz der Fußballer des BV Lünen 05 ist. Bis zu 3.000 Zuschauer verfolgten Amateure, Steher hinter den Motorrädern und Berufsfahrer. Der Nachteil der 200-m-Bahn, die Asche, wurde 1952 durch Asphaltierung abgeschafft. Als das Gelände nicht mehr den Bestimmungen entsprach, mussten die Rennen 1960 eingestellt werden. Nur Training war noch möglich. Der Verein konnte die hohen Kosten für eine Erneuerung nicht aufbringen. Die Mitgliederzahl sank von 90 auf 30, die Bahn in der ›Geist‹ wurde zur ›Geister-Bahn‹. Erst 1964 finanzierten die Stadt und die Bezirksregierung die Wiederherstellung. Die RSV-Mitglieder waren mit 4.000 Stunden dabei. Vor 1.000 Zuschauern drehte Oberbürgermeister Heinrich Czerwinski bei der Premiere eine Ehrenrunde. Doch der Bahnsport konnte nicht an alte erfolgreiche Zeiten anknüpfen. Die Bahnen wurden stillgelegt, in Dortmund, Bochum und 1968 in Lünen – für immer. Bei ›Lippe 23‹ wurden nur noch 30 Mitglieder gezählt. Das 1968 erstmals gestartete Lüner-City-Radrennen lockte allerdings viele Starter und Zuschauer. Es wurde bis in die 1990er-Jahre veranstaltet. Leider sorgten immer mehr Auflagen für das Aus.
Straßenrennen und Trimm-Dich-Welle
Umso attraktiver wurden das Touristik- und Volksradfahren. Mit dem ersten internationalen Straßen-Rennen 1971 – ermöglicht durch Sponsoren aus dem Bierbrauer-Bereich – meldete sich der RSV zurück, freute sich über den Erfolg als Veranstalter und einen großen Zuschauerzuspruch. In dieser Zeit sprangen die Lüner mit auf die ›Trimm-Dich-Welle‹ und riefen ihre Touristik-Fahrt ›Münsterland-Acht‹ ins Leben. Diese erlebt am 5. September 2021 ihre schon 42. Auflage. Die Tour für Familien und über verschieden lange Strecken lockt, je nach Wetterlage, teils bis zu 800 Teilnehmer an. Im September 1978 fand außerdem das erste Lüner Volksradfahren statt, organisiert von den örtlichen Zeitungen und dem RSV. Tausende Radler unterschiedlichen Alters wollten unbedingt auf der 25-Kilometer-Runde fahren. Eine neue Veranstaltung war geboren.
Selbstverständlich auch für Frauen
Vorsitzender Aloys Tegethoff und Geschäftsführer Dieter Pohl sowie deren Nachfolger, Vater und Sohn Zweigel, Uwe Fohrmeister und dessen Bruder Volker (heute Pressesprecher des Vereins) brachten ihren Klub mit immer neuen Ideen – und dem internationalen Erfolg von ›Didi‹ Thurau im Rücken – wieder in die Schlagzeilen. 1978 richtete der Traditionsclub eine Frauenabteilung ein. Ursula Ginzel belegte bei der deutschen Meisterschaft einen zehnten Platz, Bettina Schöber auf Bezirksebene einen siebten. Nach mehr als 20 Jahren starteten junge Lünerinnen und Lüner, trainiert von Hubert Heustädter, wieder auf einer Bahn. Carsten Schwenke und Dirk Keil hielten bei der Wintermeisterschaft in den Dortmunder Westfalenhallen gut mit. Weiter holte Carsten Schwenke auf Bezirksebene drei Medaillen, Dirk Keil startete 1986 bei der deutschen Jugend-Meisterschaft.
Boom der Radtouristik
›Lippe 23‹ ging nicht ›über die Wupper‹, sondern erkannte seine Chance. Der RSV konzentrierte sich danach vermehrt auf den Breitensport, insbesondere auf die Radtouristik, die einen Boom auslöste. Das Jahr 1991 bescherte dem RSV gleich zwei ›Leckerbissen‹. Das Festival der Pedale lockte 20.000 Zuschauer nach Lünen. Außerdem gelang es im Jahr des 650. Geburtstages der Stadt, die Schlussetappe der 7. NRW-Rundfahrt für Radamateure nach Lünen zu holen. Dank dieser Großereignisse erlebte ›Lippe 23‹ wieder einen Aufschwung. Die Mitgliederzahl stieg. Die Beteiligung an Veranstaltungen der Radtouristik-Fahrt (RTF) wuchs. So wurden RTF-Touren in Aurich, Bremerhaven oder Tannheim (Tirol) gefahren. Nicht zu vergessen sind die Besuche von Lünens Partnerstädten wie Zwolle (Niederlande), Salford (England), Fahrten im Breisgau, im französischen Colmar oder das Frühjahrstraining auf Mallorca.
Die Stunde Null beim RSV
Im November 2017 stand der RSV vor seiner Auflösung. Dann übernahmen drei langjährige Mitglieder und in der Vergangenheit aktive Rennfahrer – Uwe Fohrmeister, Michael Richter und Stephan Braun – den Vorstand und hauchten dem Radsport in Lünen neues Leben ein. Der Drahteselmarkt sowie LünAktion waren nur zwei der Plattformen, die der RSV nutzte. Ebenfalls wurde die Münsterland-Acht auf neue Beine gestellt. Seit 2018 geht es aufwärts, aktuell sind wieder knapp 100 Mitglieder eingeschrieben.
Für die Harten: ›Night on Bike‹
Die Radsportler treten wieder fester und sicherer in die Pedale. Das zeigen heute nicht nur die Präsentationen auf der sehr informativen Hompage, sondern auch neue Wettbewerbe. Mitte August dieses Jahres starteten 16 RSVer in Radevormwald bei der ›Night on Bike‹, einem-24h-Mountainbike-Rennen (MTB). Mountainbike Cross Country ist seit 1996 im olympischen Programm. In Radevormwald ging es auf einem 5,8-Kilometer-Rundkurs über 24 Stunden nicht nur gegen die Uhr, sondern auch gegen Erschöpfung, Schlaf, Hitze sowie nachts gegen Kälte und Nässe. Fahrerwechsel erfolgten, um das Tempo hoch zu halten, teils jede Runde. Alle RSVer hielten durch. Heraus sprangen ein zweiter Platz in der Vierer-Mixed-Wertung und die Ränge 2, 11 und 19 unter 30 Vierer-Teams der Männer. Weiter wurde MTB-Neuling Karoline Goldschmidt mit einer Minute Vorsprung schnellste Frau des Wochenendes.
Fast 600 Kilometer durch die Alpen
Matthias Bettin, seit gut einem Jahr neuer Vorsitzender der RSVer, kehrte schon einen Monat vor der ›Night of Bike‹ erfolgreich mit einem 23. Platz vom BIKE Transalp 2021 zurück. 572 Kilometer, 18.800 Höhenmeter, sieben Etappen, steile Schiebepassagen, zerklüftete Singletrails, Schotterserpentinen – das sind Merkmale des Rennens, das vom österreichischen Nauders am Reschenpass über und durch die Alpen bis zum Gardasee nach Italien führt. Am Ziel wurde eine Gesamtzeit von 35:31 Stunden gestoppt. Matthias Bettin, der erst sehr wenige Jahre neben dem Rennrad auch auf dem MTB unterwegs ist, kam auf den harten Strecken zweimal zu Fall, fuhr verlorene Zeit durch starke Leistung bei den Anstiegen wieder ein. Sein Partner Christoph Prokop spielte gerade in den technisch schwierigen Passagen seine Erfahrung aus. Ein harmonisches Team, das der unterschiedliche Rhythmus eher verband als auseinanderdriften ließ.
Für Radtour ›Lünen von oben‹
Wer weiß, dass die RSVer von ›Lippe 23‹ auch in die Luft gehen? Mit einem neuen Projekt machen sie auf sich und ihre Heimat Lünen aufmerksam. Für den Verein mit der Kamera gen Himmel geflogen ist Uwe Koslowski (Koka Videoproduktion), der für seine erfolgreiche Filmreihe ›Lünen von oben‹ bekannt ist. Mit ihm entstand die Idee, eine filmbegleitende Radtour auszuarbeiten – die DVD wird dazu noch in diesem Jahre angeboten. Auf der rund 28 Kilometer langen Familien-Radtour mit verkehrsberuhigten Strecken sollen die Höhepunkte in Lünen hautnah erlebbar werden. Neben vielen Einkehrmöglichkeiten warten zahlreiche Spielplätze und Sandstrand vor allem auf die Kids. Möglich wurde die Aktion dank eines positiv entschiedenen Förderantrages aus dem Heimat-Scheck-Programm des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Initiator und langjähriges RSV-Mitglied Stephan Braun überzeugte seinen Vereinsvorstand schnell von dem Projekt: »Von der Idee bis zur Umsetzung sind gerade einmal zwei Monate vergangen. Als ältester Radsportverein im Kreis Unna freuen wir uns riesig, unsere Heimat, aber auch unseren Sport auf diese Art und Weise präsentieren zu dürfen.« Die beiden ersten Vorsitzenden des Vereins, Matthias Bettin und Marco Block, fanden die Idee vom ersten Tag an klasse. »So können wir bereits in Vorbereitung auf unser 100-jähriges Vereinsjubiläum 2023 aufmerksam machen, hoffen auf weitere neue Mitglieder«, so Matthias Bettin. »Radfahren und Radsport boomt, und was kann es Schöneres geben, als diesen Sport gemeinsam im Verein zu erleben«, fügt Marco Block hinzu. Die Tour zum Film soll nicht nur über einen GPS Link von der Internetseite abrufbar sein. Es kann natürlich auch die bekannte und weitgehend kostenlose App Komoot verwendet werden.
Der Helm fährt immer mit
Der RSV hat sich in den letzten Jahren immer weiterentwickelt, und die Angebote sind vielseitig. So gibt es inzwischen wöchentlich dienstags, mittwochs und donnerstags insgesamt vier Trainingseinheiten vom Verein. Dienstags steht eine Rennradrunde um 17 Uhr ab Alstedde mit normaler Geschwindigkeit auf dem Programm, mittwochs um 10 Uhr ab Cappenberger See trifft sich die ›Rentnertruppe‹ zur Ausfahrt, mittwochs um 17.30 Uhr starten die ambitionierten Rennradler in Alstedde zum belgischen Kreisel (Ausfahrt mit einem 35+ Schnitt) und donnerstags ab 17 Uhr Cappenberger See findet wieder einer eher gemütliche Ausfahrt statt für Neulinge und Radsportler, die keine Rennen fahren. Alle Termine können auf der Webseite eingesehen werden. Tradition haben schon die Teilnahmen an den Touristik-Fahrten bei befreundeten Vereinen wie in Werne und Waltrop. Dabei gilt: Safety First. An den Ausfahrten kann nur teilnehmen, wer einen Helm trägt.
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