»Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets«
Ein Jahr Wirtschaftsförderung mit Sylvia Tiews
Im Idealfall bedeutet Arbeit Wohlstand. Das gilt für den einzelnen Bürger genauso wie für ganze Städte. In Lünen ist Sylvia Tiews für die Begleitung wachstumswilliger Unternehmen zuständig. Zum 1. Januar 2023 hat sie die Geschäftsführung des Wirtschaftsförderungszentrums (WZL) und des Technologiezentrums LÜNTEC übernommen. Wir sprachen mit der 55-jährigen Diplom-Betriebswirtin über das Kräfteverhältnis auf dem Ausbildungsmarkt, Lüner Lieblingsorte und hüpfende Flöhe.
Hallo Frau Tiews, können Sie sich kurz vorstellen? Und wer ist eigentlich der flauschige Begleiter an Ihrer Seite?
Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets: geboren und aufgewachsen in Dortmund, wo ich mit Mann und Hund lebe. Zwar hat mich mein internationales Business- und Marketingstudium bis nach Amsterdam und Südengland geführt. Die letzten 20 Jahre war ich jedoch als Wirtschaftsförderin in Dortmund tätig. Und auch Lünen ist für mich ein Stück Heimat, da ich hier in Brambauer Familie habe und beruflich viel herumkomme. Der ›flauschige Begleiter‹ ist meine Labradorhündin Camie, die auf dem Feld auch schon mal zu Kamikaze wird.
Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Wie haben Sie Ihre ersten Monate ›im Schatten des Ufos‹ erlebt?
Natürlich musste ich mich erst einmal einarbeiten und die neuen Strukturen, Abläufe und politischen Gremien kennenlernen. Einige Gesichter waren mir bereits vertraut, da Dortmund zusammen mit Hamm und den Kommunen des Kreises Unna einen IHK-Bezirk bildet. Vieles war aber auch völlig anders. Und das Wichtigste: Ich musste die Lüner Unternehmen besuchen, um zu erfahren, was sie sich wünschen, um erfolgreich arbeiten und Arbeitsplätze schaffen zu können. Das hat mir riesigen Spaß gemacht, weil ich auf diese Weise in ganz unterschiedliche Branchen hineinschnuppern konnte: vom kleinen Handwerksbetrieb über Technologiefirmen bis hin zum produzierenden Gewerbe, das in Lünen 30 Prozent ausmacht, was verglichen mit dem Rest von NRW ein herausragender Anteil ist.
Welche Themen liegen den Lüner Unternehmen besonders am Herzen?
Es gibt ein Thema, das alle umtreibt: die Schwierigkeit, Personal zu finden. Auch die angespannte Verkehrssituation durch die Baustelle auf der B54 wird oft angesprochen. Mein Ziel ist es, gemeinsam zu schauen, was getan werden kann, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Wie können wir beispielsweise arbeitnehmerfreundliche Rahmenbedingungen schaffen, um für junge Leute auf der Schwelle zum Berufsleben interessant zu sein? Vielleicht lassen sich sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn sich mehr junge Lünerinnen und Lüner für eine Ausbildung in ihrer Heimatstadt entscheiden, könnte dies gleichzeitig helfen, den Verkehr zu reduzieren, weil sie ihre Betriebe zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Öffentlichen erreichen und nicht pendeln müssen.
Viele junge Menschen zieht es dennoch in die großen Städte. Denn auch dort reißen sich die Unternehmen um Nachwuchskräfte. Wie würden Sie jemanden, dessen Blick in die Ferne schweift, davon überzeugen, in Lünen zu bleiben?
Mit der Ausbildung beginnt eine aufregende neue Lebensphase. Ich glaube, dass es eine große Entlastung sein kann, dabei erst einmal in seinem vertrauten Umfeld zu verbleiben und manche Routinen beizubehalten. Darüber hinaus möchten wir natürlich auch externe Fachkräfte dazugewinnen. Ihnen möchte ich sagen: Lünen ist eine grüne Stadt am Wasser! Das Radnetz ist super ausgebaut. Es gibt tolle Spazierwege und Ausflugsziele. Meine Lieblingsorte sind der Seepark und der Preußenhafen.
Was tun Sie konkret, um lokale Unternehmen mit den Fachkräften von morgen zusammenzubringen?
Im November haben wir gemeinsam mit der Arbeitsagentur eine Ausbildungsmesse unter dem Titel ›Werde Klimaretter*in‹ hier bei uns im LÜNTEC veranstaltet. Dahinter stand die Idee, den Schülerinnen und Schülern der Abschlussklassen, die sich bei ›Fridays for Future‹ engagieren, eine Ausbildung schmackhaft zu machen, mit der sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Das hat super funktioniert. Acht Unternehmen erhielten Gelegenheit, sich und ihre Ausbildungsberufe mit Kurzpräsentationen auf der Bühne vorzustellen. Darunter waren Betriebe, deren Kerngeschäft Recycling oder Dachbegrünung ist, aber auch solche, die nachhaltige Technologien nutzen, um sich moderner und zukunftsweisender aufzustellen.
Wie können Unternehmen auf sich aufmerksam machen, die bei der Messe nicht vertreten waren?
Parallel zum Event haben wir die digitale Plattform ›Lünen.Business‹ gelauncht. Hier kann sich jedes Lüner Unternehmen mit seinen Ausbildungsberufen sowie News und Terminen eintragen. Rund 250 Firmen nutzen diesen Service bereits.
Wie schätzen Sie das derzeitige Kräfteverhältnis auf dem Ausbildungsmarkt ein? Besteht die Gefahr, dass ausbildungswillige Betriebe in Lünen zunehmend ohne Bewerber*innen dastehen?
Die Situation, dass viele Kandidaten um eine begehrte Stelle konkurrieren, haben wir lange nicht mehr. Im Zeitraum Oktober 2022 bis September 2023 standen laut Erhebungen der Agentur für Arbeit im Kreis Unna für jeden Bewerber statistisch 1,02 Stellen zur Verfügung. Wenn sich das Verhältnis weiter verschiebt, könnten manche Ausbildungsplätze durchaus unbesetzt bleiben. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir es durch neue Konzepte schaffen werden, die Unternehmen bei der Personalbeschaffung zu unterstützen.
Wie sehen Ihre Pläne für 2024 aus?
Demografie, Netzwerkausbau und Gewerbeflächenentwicklung werden dieses Jahr zentrale Themen des WZL sein. Wir haben viele Ideen gesammelt, um tätig zu werden und das verfügbare Jahreseinkommen der Einwohner durch Ausbildung und Arbeit zu steigern. Diese Ideen stelle ich im Ausschuss und in den Gremien vor. Vieles ist nicht ohne personelle Verstärkung umsetzbar. Der Rat entscheidet, ob wir weiter auf kleiner Flamme köcheln oder die nötigen Gelder erhalten, um größere und auch smartere Projekte anzugehen. Ich bleibe jedoch optimistisch. Durch den demografischen Wandel geht Beschäftigung überall zurück. Es wäre schon ein Erfolg, wenn wir den Status Quo in Lünen beibehalten und die Prognosen Lügen strafen.
Sie tragen in Ihrem Job ein hohes Maß an Verantwortung. Wie schalten Sie ab? Haben Sie irgendwelche spannenden Hobbys?
Ich schalte am besten bei langen Spaziergängen mit unserem Hund ab oder draußen im Garten. Und ich spiele Ukulele. Das habe ich mir während der Coronazeit mithilfe von Youtube-Videos selbst beigebracht und die gesamte Familie damit angesteckt. ›Ukulele‹ bedeutet übrigens ›hüpfender Floh‹: Allein die Übersetzung versetzt mich schon in gute Laune.
diese Seite auf Facebook teilen0