Stadtmagazin Lünen: Soziales

Hier ist jeder willkommen!

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Zu Besuch im Treffpunkt Neuland

Man muss sich schon ein wenig in der Innenstadt auskennen, um das einstige Ladenlokal in der kleinen Seitengasse hinter der Eisdiele nicht zu übersehen. Wer jedoch herfindet, geht meist nicht so schnell wieder weg. Seit 2020 hat der ›Treffpunkt Neuland‹ seinen Sitz im vormaligen Fotostudio Rausch an der Münsterstraße 20a. Es ist ein Ort, an dem Geflüchtete Hilfe finden. Es ist aber auch ein Ort, an dem Hilfsbedürftige selbst zu Helfenden werden.

»Ohne sie wäre das alles hier nicht vorstellbar!«

»Wir haben vielleicht 60 regelmäßige Gäste aus circa 20 verschiedenen Nationen«, berichtet uns der Vereinsvorsitzende Johannes. »Mehr als die Hälfte von ihnen stehen parat, wenn etwas zu tun ist.« Vom Dolmetschen in verschiedenen Sprachen über Hausmeistertätigkeiten, kreative Freizeitangebote, Bildungspatenschaften und Sprachtrainings bis hin zum Putzteam: Das Neuland lebt vom Ehrenamt und von der Initiative seiner Besucherinnen und Besucher. »In den Medien werden beim Thema Migration ja oft nur die extremen Einzelfälle herausgegriffen – im positiven wie im negativen Sinne«, stellt Johannes fest. »Tatsächlich aber haben wir hier so viele Menschen, die sich tagtäglich bemühen. Ohne sie wäre das alles hier nicht vorstellbar!«

Nähen, Malen, Glühweintrinken

Da ist zum Beispiel die Ukrainerin Iryna, Ingenieurtechnologin, die sich im Planungsstab des Vereins engagiert. Dank ihr wird es in diesem Jahr wieder eine vom Neuland betriebene Glühweinhütte auf dem Weihnachtsmarkt geben – 40 Personen haben sich schon freiwillig gemeldet. Ihre Landsfrau Oksana, von Beruf Näherin, veranstaltet regelmäßige Workshops für Stoffmalerei: Zusammen mit anderen Frauen und Kindern hübscht sie alte Kleidung wie T-Shirts und Jeanshosen mit bunten Farben auf. Ganz neu hat sie außerdem eine Nähgruppe ins Leben gerufen. Die Idee: Einkaufsbeutel nähen und diese in der Weihnachtshütte verkaufen. Eine andere Aktion, die auf Wunsch der Ukrainerinnen initiiert wurde, ist das Alltagsgefahrentraining für Kinder, um diese für Themen wie Mobbing oder Missbrauch zu sensibilisieren.

Deutsch gelernt mit der ›Sesamstraße‹

Souzan stammt ursprünglich aus Syrien und zog vor 40 Jahren für ihren Ehemann nach Deutschland um. »Leider gab es damals für Migranten nicht dieselben Möglichkeiten wie heute«, erinnert sie sich. »Ich habe allein Deutsch gelernt, durch die ›Sesamstraße‹ und andere Kinderprogramme, aber auch im Gespräch mit den Ärzten im Krankenhaus, wo ich wegen meiner behinderten Tochter oft war.« Als in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach und 2015 die großen Flüchtlingswellen nach Deutschland schwappten, stand für die Reiseverkehrskauffrau fest, dass sie helfen wollte. Daran hat sich bis jetzt nichts geändert, auch wenn inzwischen mehr ukrainische als syrische Geflüchtete ins Land kommen. »Es macht mir Spaß, den Menschen Deutsch beizubringen und gemeinsam etwas zu unternehmen.« Einige ihrer Landsleute seien sehr zielstrebig, berichtet sie. Andere könnten in ihren Augen etwas disziplinierter sein. »Manche sind zu schüchtern, sie trauen sich nicht, zu sprechen.«

»Wer aber auf uns zukommt, den unterstützen wir!«

Diesen Eindruck kann Johannes bestätigen. Er hat den Verein 2017 mitbegründet – damals war der Treffpunkt Neuland noch in der Persiluhrpassage ansässig. »So sind die Menschen: Einige wollen, andere nicht. Wir gehen nicht aktiv auf die Leute zu und zwingen niemanden. Wer aber auf uns zukommt, den unterstützen wir!« Diese Unterstützung kann ganz unterschiedliche Formen annehmen: Tipps bei der Bewerbung oder der Erstellung des Lebenslaufes, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen oder Deutschtraining für verschiedene Leistungsniveaus und Altersklassen. Alles – darauf besteht Johannes – nicht professionell. »Wir bieten keinen Ersatz für richtigen Nachhilfeunterricht oder zertifizierte Deutschkurse. Wer jedoch nicht ewig auf einen Termin warten will, kann hier bei uns schon mal loslegen. Und die Stadt Lünen verweist sogar auf uns.«

16 Arbeitswillige an Betriebe vermittelt

Seit etwa einem Jahr betreibt der Verein zudem aktiv Arbeitsvermittlung und stellt gezielt Kontakte zwischen arbeitswilligen Geflüchteten und lokalen Betrieben her. »Seit Januar haben wir u. a. in Kooperation mit dem WZL und dem Verein Pro Lünen 16 Personen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt untergebracht«, berichtet der zuständige Ehrenamtler Frank. Er freut sich über die große Offenheit seitens der Unternehmen. Darunter seien große ›Player‹ ebenso wie kleine Betriebe von nebenan. »Was die Firmen besonders zu schätzen wissen, ist, dass sie nicht nur einen Lebenslauf bekommen, sondern auch eine Einschätzung von mir: Wie gut deutsch spricht der Bewerber wirklich? Wie motiviert ist derjenige? Für welche Tätigkeit ist die Person geeignet?«

»Um ja kein Loch aufkommen zu lassen«

Ein anderes Dauerthema ist die – ebenfalls rein laienhaft praktizierte – ›Trauma-Bewältigung‹. Kreativworkshops, Spielenachmittage, gemeinsames Fußballschauen, interkulturelle Feste, Theaterbesuche und Ausflüge zur Waldschule Cappenberg dienen nicht nur der Freizeitgestaltung. Sie sind für viele der Geflüchteten auch eine willkommene Ablenkung von der oft harten Realität. »Die Menschen suchen sich eine sinnvolle Beschäftigung, damit sie anderes wegschieben können«, weiß Anja, die sich ebenfalls im erweiterten Vorstand engagiert. »Aktivitäten sind wichtig, um ja kein Loch aufkommen zu lassen, in das man wieder fallen könnte, wenn man zu viel grübelt.«

»Wir kümmern uns umeinander«

Neben den vielen konkreten Hilfsangeboten ist dies die wohl wertvollste Aufgabe des Vereins und der Sinn und Zweck des Miteinanders: »Wir kümmern uns umeinander«, sagt Johannes. »Und wir lernen uns dabei immer besser kennen.« Das merkt man bei den persönlichen Gesprächen, wenn die Menschen von ihrem Heimweh und ihren Kriegserlebnissen berichten. »Die allermeisten träumen anfangs noch davon, nach Hause zurückzukehren, trauen sich aber nicht, es offen zu sagen, aus Angst, wir würden sie dann nicht mehr unterstützen«, weiß der Vorsitzende. »Doch wer kann es ihnen verübeln, dass sie ihre Familien und ihre Heimat vermissen?« Man merkt es aber auch beim monatlichen ›Come Together‹ und den interkulturellen Festen. Egal ob ukrainische Weihnachtsfeier, arabisches Zuckerfest oder herbstliche Halloweenparty: Hier ist jeder willkommen. »Wir sind uns alle grün«, sagt Anja. »Sonst würde das ja auch gar nicht funktionieren.«

Auf Spenden angewiesen

Viele Geflüchtete, die in Lünen heimisch werden, einen Job finden, eine Familie gründen, bleiben dem Neuland als Stammgäste erhalten. Sei es, weil sie die Gemeinschaft schätzen, doch noch mal eine Frage haben oder anderen beistehen möchten. Für die Ehrenamtlichen im Vorstand ist das eine schöne Bestätigung. »Irgendwann kommt bei den meisten der Punkt, dass sie sagen: Früher wollte ich zurück. Jetzt will ich das nicht mehr. Weil ich mich hier in Lünen wohlfühle.« Damit das auch weiterhin so sein kann, ist der Verein auf Spenden angewiesen – ab 2025 sogar mehr denn je. Denn das Land hat sämtliche Fördermittel für ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit gestrichen. 70 Prozent des Jahresetats fehlen daher auf einen Schlag. »Jetzt geht es ans Eingemachte. Ohne Unterstützung werden wir auf Dauer nicht überleben können. Wir hoffen auf mehr Spenden und Fördermitglieder.«

Weitere Infos: www.treffpunkt-neuland.de

Spendenkonto des Treffpunkt Neuland
Sparkasse an der Lippe
IBAN: DE04 4415 2370 0005 0085 37

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