Stadtmagazin Witten: Soziales

Vergessen ist menschlich

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Alzheimer Gesellschaft Witten-Wetter-Herdecke e.V.

Demenz: ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Auch wenn das Risiko, beispielsweise an Alzheimer zu erkranken, prozentual nicht gestiegen ist, so gibt es heute wesentlich mehr Betroffene als noch vor 20, 30 Jahren. Der Grund dafür liegt in unserer höheren und stetig steigenden Lebenserwartung. Der Großteil der Demenzerkrankungen tritt nun einmal im hohen Alter auf. Umso wichtiger ist es, eine kompetente Anlaufstelle vor Ort zu haben, wo Informationen gegeben und Hilfestellungen geleistet werden können – so wie die im Mai 2014 von Fachfrauen und Angehörigen demenzerkrankter Menschen gegründete Alzheimer Gesellschaft Witten-Wetter-Herdecke e.V.
Wir sprachen mit Kirstin Schütz (seit 2018 die neue 1. Vorsitzende des Vereins) sowie Ansprechpartnerin und Beraterin Petra Möller.

Das Bügeleisen im Kühlschrank

»Leider ist Demenz nach wie vor ein Tabuthema – und das wird es noch lange bleiben«, berichtet Kirstin Schütz. Verständlicherweise, denn im Gegensatz zu alterstypischen Mankos wie Falten und nachlassendem Hör-, Seh- oder Bewegungsvermögen birgt es eine viel weitergehende Dimension. Die Vorstellung, irgendwann vielleicht nicht mehr über die bisherige geistige Kompetenz zu verfügen, verwirrt und orientierungslos zu sein, sorgt für tiefe Ängste. »Wobei Demenz nicht zu verwechseln ist mit der sogenannten Altersvergesslichkeit«, sagt Petra Möller. Sich an einen Namen nicht zu erinnern, zu verbaseln, wo man den Schlüssel hingelegt hat – all dies wird wohl früher oder später jedem von uns passieren. Richtiggehende Demenzerkrankungen hingegen weisen noch andere Symptome auf, wie Wortfindungsschwierigkeiten, Desorientierung, Probleme bei der Handhabung alltagstypischer Abläufe und vieles mehr. »Dabei merken die Betroffenen selbst es recht früh«, erklärt Petra Möller. »Es beginnt damit, dass sie Sachen verlegen und irgendwann an ungewöhnlichen Orten wiederfinden, wie das Bügeleisen im Kühlschrank.« »Und diese Phase des Abgleitens zu erleben ist sehr schwer!«, betont Kirstin Schütz.

Masterstudiengang an der UW/H
Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz und chronischen Einschränkungen (M.A.)

Demenz ist ein komplexes Syndrom, das hohe Anforderungen an die Betreuung und Pflege stellt. Umso bedeutsamer ist es, dass die Schnittstellen zwischen Angeboten des Gesundheits- und Sozialsystems sowie der sozial-räumlichen und technisch-materiellen Ausstattungen möglichst passgenau und dabei höchst individuell ineinandergreifen, um Inkompetenz- und Problemkaskaden zu verhindern.
Hier setzt der berufsbegleitende Masterstudiengang der UW/H an, deutschlandweit übrigens das einzige Studium seiner Art. Ausgehend von einem großen Bedarf an Expertinnen und Experten zielt er auf die Aneignung fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse, methodischer Kompetenz und berufspraktischer Qualifikationen. Die Studierenden sollen zum fachübergreifenden Handeln in Tätigkeitsfeldern der direkten und indirekten Versorgungsgestaltung befähigt werden und gemeinsam Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz oder chronischen Erkrankungen entwickeln.
Zur Zielgruppe gehören nicht nur Interessenten aus medizinischen, therapeutischen oder pflegerischen Berufen, sondern z. B. auch Städteplaner, Sozial- und Geisteswissenschaftler, Psychologen, Sozialarbeiter, Ingenieure, Juristen, Architekten, Ökonomen oder Verwaltungs- und Politikwissenschaftler. Ihnen erschließen sich nach Abschluss neben weiteren interessanten beruflichen Optionen zudem der Zugang zur Promotion oder zur Teilnahme an Forschungsprojekten.
Weitere Informationen zu Voraussetzungen, Studieninhalten und Konditionen finden sich unter
www.uni-wh.de/studium/studiengaenge/multiprofessionelle-versorgung-von-menschen-mit-demenz-und-chronischen-einschraenkungen-ma/

Kinder fallen oft aus allen Wolken

Aus Schamgefühlen versuchen viele Betroffene, ihre Erkrankung zu verbergen – durchaus mit Erfolg. So können Jahre vergehen, bis die Demenz von anderen wahrgenommen und erkannt wird. »Als erstes merken in der Regel die Ehepartner, dass etwas nicht stimmt«, berichtet Petra Möller. »Doch auch sie neigen häufig dazu, es zu kompensieren – um dem Partner zu helfen, aber auch um ihn nicht die ›Schande‹ ertragen lassen zu müssen. Die Kinder fallen oft aus allen Wolken, wenn beispielsweise die Mutter ins Krankenhaus muss und der Vater allein daheim plötzlich völlig orientierungslos angetroffen wird. Leider ist es oftmals viel zu spät, wenn die Erkrankten beziehungsweise ihre Angehörigen zu uns kommen. Es wäre ungemein wichtig, sich möglichst früh beraten zu lassen und Hilfe zu suchen.«

Begleitung und Entlastung

Die diesbezüglichen Angebote der Alzheimer Gesellschaft sind ausgesprochen vielfältig. Jeden Dienstagnachmittag berät Petra Möller kostenlos – gefördert durch den EN-Kreis – in der Selbsthilfekontaktstelle an der Dortmunder Straße erkrankte Menschen und/oder Angehörige zu allen Fragen rund um das Thema, schenkt ihnen ein offenes Ohr und vermittelt Kurse, Schulungen sowie Unterstützungsmöglichkeiten von Kooperationspartnern wie Pflegekräften, Ärzten, Apotheken oder Seniorenheimen. Zudem führt der gemeinnützige Verein auch eigene Veranstaltungen und Kurse durch. »Unser Anliegen ist es, das Thema zu enttabuisieren, über die Alzheimer Erkrankung und andere Demenzformen aufzuklären«, erläutert Kirstin Schütz. »Vor allem aber möchten wir erkrankte Menschen begleiten und ihre Angehörigen entlasten. Sie sollen spüren: ›Ich bin nicht allein auf der Welt, andere haben das gleiche Problem wie ich.‹«

›Hilfe zum Helfen‹

Die Schulung zur Demenzbegleitung richtet sich an Ehrenamtliche und pflegende Angehörige, die sich für die Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz qualifizieren wollen, und umfasst jeweils insgesamt 40 Unterrichtsstunden. Nach erfolgreichem Abschluss erhalten die Teilnehmer/-innen ein Zertifikat, das sie berechtigt, als Helfer/in gem. § 45b SGB XI bei Pflegediensten, privat oder anderen Anbietern, nebenberuflich oder ehrenamtlich tätig zu werden. Inhaltlich werden u. a. medizinisches Basiswissen, Grundlagen zum Gesetz über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und Tipps für die Kommunikation und den Umgang mit den Erkrankten vermittelt.
Nächster Termin: 09.–11.11. + 16.–18.11.

Gruppe für Paare

Jeden zweiten und vierten Montag im Monat von 10.30 bis 12 Uhr findet die unterhaltsame, dabei äußerst hilfreiche Trainingseinheit statt, die übrigens sowohl dem gesunden als auch dem kranken Partner Abwechslung und Vergnügen bereitet – kostenfrei inklusive Kaffee und Keks.
Es werden Ausflüge unternommen und Aktivitäten durchgeführt. Zurzeit steht der Bereich Gedächtnistraining im Fokus.

Stammtisch

›Hilfe, meine Eltern werden pflegebedürftig‹ … Wer diesen oder ähnliche Gedanken kennt, ist herzlich zum neuen Stammtisch an jedem zweiten Mittwoch im Monat (19.30 Uhr) eingeladen. Angesprochen sind ›erwachsene Kinder‹, deren Eltern pflegebedürftig sind – mit oder ohne eine Demenzerkrankung – und die Lust haben, sich in dieser Lebensphase mit anderen auszutauschen und voneinander zu lernen.
Treffpunkt: Ratskeller, Marktstraße 16

Termintipp: Historischer Stadtrundgang

Gemeinsam werden in einem anderthalbstündigen Spaziergang drei Stationen angesteuert, die vor allem in den 50er- und 60er-Jahren zu den beliebtesten Wittener Dreh- und Angelpunkten gehörten. Hier sollen die Teilnehmer von sich aus ihre Erinnerungen mit dem Zielort koppeln, dürfen ausgesprochen gern von damals erzählen und somit selbst zu Sightseeing-Experten werden. Eine ebenfalls an Demenz erkrankte Wittenerin ist als Co-Stadtführerin dabei.
So. 16.09., 15 Uhr

Viele weitere Informationen über die Alzheimer Gesellschaft Witten-Wetter-Herdecke e.V. erhalten Sie auf der Homepage, aber auch demnächst auf der Seniorenmesse am Rathaus am 2. September. Hier ist der Verein mit einem Infostand vertreten.

»Mama, hilf mir!«

Wir fragen: Was ist Ihr persönlicher Ratschlag an jemanden, der vermutet oder sich sogar sicher ist, dass eine ihm nahestehende Person erkrankt ist? Kirstin Schütz: »Reden Sie, aber reden Sie vor allem miteinander, nicht übereinander.« »O ja,« nickt Petra Möller, »das Gespräch ist wichtig. Gemeinsam zu überlegen: Was können wir tun? Wenn Sie sehen, dass Ihr Gegenüber ›dicht macht‹, beziehen Sie ihn auf Augenhöhe mit ein, sagen Sie beispielsweise: ›Mama hilf mir. Wie soll es weitergehen? Ich habe einen Vorschlag, was meinst du dazu?‹ Wobei es aber ebenso wichtig ist, dass irgendwann von beiden Parts der Rollentausch vollzogen und akzeptiert wird.« Vor allem empfehlen beide, möglichst schnell Hilfe in Anspruch zu nehmen: »Mit einer frühzeitigen Diagnose kann der Krankheitsverlauf in der Anfangsphase eventuell abgemildert werden, ist es möglich, Fähigkeiten länger zu erhalten und insbesondere kann mehr Lebensqualität geschaffen werden – für Betroffene und Angehörige gleichermaßen.«

Alzheimer Gesellschaft Witten-Wetter-Herdecke e.V.

(In den Räumen der Selbsthilfekontaktstelle)
Dortmunder Straße 13 · 58455 Witten
0 23 02 / 8 79 89 28 · alzheimer-wwh.de
Beratung durch Petra Möller jeden Dienstag
von 14–16 Uhr und nach Vereinbarung

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