Zu den Waffen!
Ad Arma im TG Witten e. V. – eine ritterliche Sportabteilung
Sportanlage an der Jahnstraße. Es brennt Licht, in der Umkleide liegen Klamotten und dicke Polster herum. Aus der Halle dringt das übliche Turnschuhquietschen – und Schwertergeklirr. Und tatsächlich: Da rangeln Ritter in voller Rüstung miteinander, fechten Gestalten, verpackt in gepolsterte schwarze Jacken, mit umso dünneren Waffen gegeneinander. Anschließend spielen sie eine wilde Form des Hallenhockeys, mit Schaumstoffschwertern statt Schlägern. Willkommen beim Training des Ad Arma e. V.!
Fechten wie im Mittelalter
Jeden Montag- und Mittwochabend treffen sich die Vereinsmitglieder, um eine der beiden Sportarten zu trainieren: HEMA und HMB. Hinter HEMA verbirgt sich das englischsprachige ›Historical European Martial Arts‹, also historische europäische Kampfkünste. Dabei handelt es sich um eine Fechtsportrichtung, die auf spätmittelalterlichem Schwertkampf beruht. »Mit olympischem Fechten hat das aber nichts zu tun«, erklärt HEMA-Trainer Sascha Raeder. »Fechten hieß damals einfach ›mit einer Waffe kämpfen.‹« Daher wirkt ein HEMA-Kampf auch nicht so ›gekünstelt‹ wie olympisches Fechten. Die Gegner bewegen sich nicht nur auf einer Linie, und der ganze Körper gilt als Trefferzone für das Langschwert oder das Kurzschwert, das zusammen mit einem Buckler, einem kleinen Schild, geführt wird. Zum Einsatz kommen hier, wie beim HMB, echte Waffen nach mittelalterlichem Vorbild. »Die sind natürlich nicht scharf. Wir sind ja nicht lebensmüde«, sagt Thomas Noll, HMB-Trainer beim Ad Arma e.V. Weil aber auch eine stumpfe Klinge Schaden anrichten kann, sind die Kämpfer in moderne Schutzausrüstung gekleidet. Ein wenig sehen sie aus wie schwarze Michelinmännchen. Doch so agil, wie sie sich beim Sparring zeigen, strafen sie diesen Eindruck Lügen. Sparring – so nennt man bei Kampfsportarten generell den Trainingskampf.
Sportlicher Wettstreit mit Waffe und Ritterrüstung
Noch etwas wilder geht es beim HMB zu, beim ›Historical Medieval Battle‹, dem historischen mittelalterlichen Kampf. Auch hier kommen echte, aber stumpfe Waffen sowie Nachbildungen alter historischer Waffen zum Einsatz – ebenso wie echte Ritterrüstungen! Und auch hier verblüffen die Kontrahenten mit Beweglichkeit und Schnelligkeit. Trotz locker 30 Kilo an Metall und Polster am ganzen Körper schwingen sie ihre Klingen behände, halten Schlägen stand oder weichen ihnen beherzt aus. Da liegen zwei Ritter im Clinch, sie ringen und rangeln, setzen den Schild als Schlagwaffe ein und versuchen, dem Gegner die Füße vom Boden zu ziehen. Anders als beim HEMA wird die Begegnung nach einem Treffer nicht unterbrochen. Es wird so lange gekämpft, bis einer von beiden mit etwas anderem als den Füßen den Boden berührt. Das schlaucht ganz schön. Als die Athleten danach die Helme abnehmen, blicken wir in hochrote Gesichter und durchgeschwitzte Haare. »Mit Schaukampf, wie man ihn vielleicht vom Mittelaltermarkt kennt, hat das alles nichts zu tun«, betonen die Teilnehmer hier immer wieder. Sowohl beim historischen Fechten als auch beim gerüsteten Vollkontaktsport geht es nicht um Choreografie, sondern um den sportlichen Wettstreit. Daher gibt es auch in beiden Sparten internationale Turniere.
»Es ist eine Sportart, die alles fordert: Kopf, Reaktion, Kondition«
Im April richtet der Ad Arma e. V. zusammen mit einem befreundeten Essener Verein ein eigenes Turnier in Witten aus. Am 25. April messen sich in der großen Jahnhalle HEMA-Kämpfer aus ganz Deutschland, den Niederlanden und Belgien. Auch Workshops zum Austausch sind geplant. Es klingt paradox, aber der Sport ist relativ jung. Zwar stammen die Kampftechniken aus dem 14. bis 17. Jahrhundert, aber erst seit wenigen Jahrzehnten nutzt man sie auf diese moderne Weise. Das Wissen darüber, wie man eine Hiebwaffe zu führen hat, stammt aus alten Fechtbüchern. Und es ist nicht einfach, die altertümliche Sprache und die einfachen Zeichnungen in echte Bewegungsabläufe zu übersetzen. So hat jeder Trainer sein eigenes Rezept. »Bei mir geht es um Effektivität«, sagt Sascha Raeder, der aus Gevelsberg extra nach Witten kommt. »Es ist viel Taktik dabei. Man muss sich in kürzester Zeit auf den Gegner einstellen.« Da kann man nicht immer nach Buch kämpfen. »Es ist eine Sportart, die alles fordert: Kopf, Reaktion, Kondition«, verrät er.
Fair und freundschaftlich
Der Trainingsabend läuft relativ klassisch ab: Zum Aufwärmen laufen alle Teilnehmer in der Halle hin und her (was bei den ganzen Waffen, Polstern und Rüstungen zunächst dann doch einen ungewohnten Anblick bietet). Darauf folgen unterschiedliche Übungen, die Ausdauer, Kraft und Schnellkraft verbessern sollen. Und schließlich eben die Technikeinheiten, paarweise oder zusammen in die Luft, um das Führen der Klinge zu verbessern. Dabei haben sich die HEMA-Gruppe und die HMB-Partei aufgeteilt. Es sieht leicht chaotisch aus, geht aber sehr kameradschaftlich zu. Es herrscht kein Drill. Wer Pause machen will, setzt sich auf die Bank. Und bevor das Training mit der wilden Variante des Feldhockeys abschließt, wird beim Sparring gegenseitig ›auffe Mappe gehaun‹ – fair und freundschaftlich, versteht sich, doch ambitioniert.
Ist das nicht gefährlich?
Eine Frage drängt sich natürlich auf: Ist das nicht gefährlich? »Das Verletzungsrisiko ist geringer als bei vielen anderen Sportarten«, sagt Thomas Noll, der auf rund 20 Jahre Erfahrung zurückblickt. Schließlich sind die Rüstung bzw. die Schutzmontur wesentlicher Bestandteil der Ausstattung. »Blaue Flecken gibt es aber schon.« Eine gewisse Schmerztoleranz gehört also dazu, wenn man sich nach historischem Vorbild messen möchte – wie bei jedem Kampfsport. Und wer lässt sich auf so etwas ein? In der Halle sind Menschen jeden Alters und beiderlei Geschlechts zu sehen. Hier misst sich eine Frau mit einem Teenager, dort verbessert ein älterer Herr seine Schwungtechnik. »Mit 80 Kilogramm zähle ich beim Vollkontakt eher zu den Leichtgewichten«, sagt ein Ritter. Masse ist sicherlich von Vorteil. Das ›Leichtgewicht‹ zieht gerade seine Rüstung aus, um die einzelnen Elemente zu präsentieren. Eine kleine Geschichtsstunde, vermengt mit Materialkunde: »Historisch ist eine Titanlegierung natürlich nicht, aber sie ist um einiges leichter. Allerdings federt sie auch.« Wer mehr Leichtigkeit will, büßt beim Trefferschutz ein. Wieder eine taktische Überlegung.
Verstärkung gesucht!
Beim HEMA spielt die Montur keine so große Rolle, auch nicht die Masse. Der Trainer erzählt von zierlichen Frauen, die viel massivere, männliche Gegner besiegt haben. Prinzipiell sei der Sport für jeden offen. Ab 16 Jahren kann man beim Ad Arma e V. HEMA-kämpfen. Reinschnuppern ist (nach vorheriger Anmeldung per E-Mail) jederzeit erwünscht. Ab 18 Jahren kann man dann bei Turnieren mitmachen. Dafür sucht der Verein dringend Nachwuchs. Obwohl es im Ruhrgebiet nur wenige Clubs gibt, wächst die Mitgliederzahl langsam. Das liegt sicherlich daran, dass das historische Fechten einfach noch ziemlich unbekannt ist, aber faszinierend ist es allemal. So kann man hier seinen Kindheitstraum, Ritter zu werden, wahr werden lassen. »Hollywood hat mich damals auf die Idee gebracht«, sagt Sascha Raeder. Thomas Noll appelliert an den Ehrgeiz: »Der größte Reiz ist es, den inneren Schweinehund zu besiegen.« Ein Athlet schwärmt davon, Stahl auf Stahl treffen zu lassen. Und eine Mitstreiterin pflichtet ihm bei: »Es gibt definitiv keine andere Sportart, die so gut klingt.«
Der Ad Arma – historisches Fechten und gerüsteter Kontaktsport in der Turngemeinde Witten von 1848 e. V. trainiert montags und mittwochs von 20 bis 22 Uhr in der kleinen Jahnhalle an der Jahnstraße 11.
Kontakt bei Interesse an einem Probetraining und Fragen:
Tel. 01 75 / 1 86 79 74
info [at] adarma-witten.de
www.adarma-witten.de