»Vom Sattel sieht die Welt anders aus«
Der Radsportverein Witten 1946 e. V.
Was haben der Großglockner, Dänemark, das Brandenburger Tor und die Burgruine Hardenstein gemeinsam? Alle diese Reiseziele sind mit dem Rennrad bestens erreichbar. Das jedenfalls berichten Ingo Ridder, Georg Babioch und Winfried Vollmer, und sie müssen es wissen. Seit über dreißig Jahren engagieren sich die drei im Wittener Radsportverein und haben in dieser Zeit Tausende von Kilometern hinter sich gebracht. »Man kann einfach aufsteigen und losfahren, das ist das Tolle daran!«
Rückblick: Die Zeit der Straßenrennen
Der RV Witten 1946 e. V. ist vielleicht nicht der größte, dafür aber sicher der traditionsreichste Radsportverein der Stadt: 1946 wurde er von sieben jungen Leuten für den Rennsport gegründet. Nach dem Krieg hätten die Menschen eigentlich andere Sorgen haben sollen, andererseits herrschte damals Aufbruchsstimmung, sodass die Aktivitäten schnell Anklang fanden. Ältere Mitglieder erinnern sich an große Straßenrennen, bei denen hunderte Starter – darunter prominente Spitzensportler und Tour-de-France-Teilnehmer – unter dem Jubel der Zuschauer quer durch Witten und Heven antraten. Goldene Zeiten für den Club. »Leider blieben wir jedoch von Nachwuchsproblemen nicht verschont«, bedauert Georg Babioch (2. Vorsitzender). »Die Kinder fahren ja heutzutage eher Mountainbike, oder sie spielen Fußball. Dazu gesellten sich drastische Auflagen der Städte, sodass wir uns die Frage stellen mussten, ob derartige Großveranstaltungen noch durchführbar sind.« Im Jahr 2011 richtete der RV das letzte große Radrennen in Witten aus.
Heute: Radtouren für jedermann
Die rund 40 Mitglieder konzentrieren sich seither auf den Breitensport: Neben öffentlichen Rennradtouren werden auch sogenannte Country-Touren (durch das Gelände) besucht und zum Teil selbst veranstaltet, übrigens bei (fast) jedem Wetter. Wie zuletzt Mitte Februar, als sich weit über 400 Freizeitsportler und Vereinsathleten trotz Sturmwarnung auf den 46 bzw. 56 Kilometer langen Kurs ›rund um Witten‹ wagten. Die nächste Rennradtour führt voraussichtlich am 7. Juni vom Baumarkt an der Dortmunder Straße aus Richtung Bevertalsperre im Bergischen Land. »Jeder kann mitmachen«, erklärt Ingo Ridder (1. Vorsitzender). »Die vier ausgeschilderten Strecken variieren zwischen 41 und 151 Kilometern Länge und werden durch Kontrollstellen markiert, an denen man Verpflegung und – als Vereinsfahrer – einen Stempelnachweis für die Punktewertung bekommt.« So ist für jedermann etwas dabei. »Mit der kurzen Familienstrecke ist man wahrscheinlich in zwei Stunden durch, aber für die 150 Kilometer braucht man schon ein ziemlich hohes Leistungsniveau«, so Winfried Vollmer (Geschäftsführer). Wobei es nie um Geschwindigkeit, sondern immer um die Kilometerleistung geht!
»Das hat schon was von einem Abenteuer«
Eine vereinsinterne Angelegenheit sind die Etappenfahrten, bei denen die Sportler per Rennrad quer durch ganz Deutschland, Österreich, die osteuropäischen Länder oder Mallorca reisen. Nach ihren Eindrücken gefragt, geraten die drei Wittener regelrecht ins Schwärmen. »Wir setzen uns morgens den Rucksack auf und wissen oft nicht, wo wir abends ankommen«, so Ingo Ridder. »Das hat schon ein bisschen was von einem Abenteuer.« Winfried Vollmer erfreut sich besonders an der schönen Landschaft. »Natürlich schaut man sich beim Fahren um, es ist ja nicht wie bei der Tour des France, wo alle nur stur geradeaus blicken. Und mir ist zuletzt auf Mallorca wieder bewusst geworden, dass die Welt komplett anders aussieht, wenn man oben im Sattel sitzt und Meer und Berge an sich vorbeiziehen lässt.« »Das Rad ist das ideale Gerät für ein tolles Naturerlebnis«, findet auch Georg Babioch. »Man ist schneller unterwegs als zu Fuß, aber die Wahrnehmung ist genauso intensiv.«
Von der Ostsee bis in die Alpen
Ingo Ridder erinnert sich mit Vorliebe zurück an die 985 Kilometer lange Etappentour von Flensburg nach Oberstdorf. »Da haben wir Deutschland von der dänischen Grenze bis zum südlichsten Punkt durchquert und so die ganze Vielfalt der Topografie mitbekommen, vom Tiefland bis zu den Alpen, alles in einer Woche.« Allerdings sollten Radfahrer gerade für die bergigen Strecken Erfahrung mitbringen. »Es ist wie beim Wandern«, erklärt Winfried Vollmer. »Man muss wissen, dass ein Gewitter gefährlich werden kann und man sich besser unterstellt, als bei Hagel und Temperatursturz den Pass runterzubrettern.« »Es ist ein typisches Anfängerproblem, dass Menschen sich überschätzen und ihre Kräfte nicht richtig einteilen«, ergänzt Ingo Ridder. Er schmunzelt: »Die Alpen zeigen uns, wie schnell die Kondition einbrechen kann.« Zum Glück gibt es aber auch viele attraktive Routen, die sich für Ungeübte hervorragend eignen, sogar in unmittelbarer Nachbarschaft. »Ich würde fast behaupten, dass unsere Geländefahrt ›rund um Witten‹ mit ihren Highlights (z. B. Rheinischer Esel, Hohenstein, Ruhrdeich, Schloss Steinhausen, Ruine Hardenstein) die allerschönste und abwechslungsreichste Tour ihrer Art ist«, so der Vorsitzende.
Natur trifft Kultur
Neben dem Naturgenuss versprechen vor allem die Etappenfahrten aber auch immer spannende Kulturerlebnisse. Denn die Organisatoren planen die Routen so, dass sich viele Gelegenheiten für die Besichtigung von Innenstädten und Sehenswürdigkeiten ergeben. »Beispielsweise standen wir in der Deutschen Botschaft in Prag auf demselben Balkon, von dem aus Genscher 1989 seine berühmten Worte zum Mauerfall gesprochen hat, haben die Gedenkstätten in Auschwitz und Buchenwald besucht und uns die Wittener Partnerstädte Barking und Tczew angeschaut. Mit dem Rad kommt man ja überall hin! Und in unseren Trikots werden wir als Botschafter der Stadt beziehungsweise Region auch meist schnell angesprochen.« Ein Aspekt, der auf Reisen nicht zu unterschätzen ist, wie die drei Herren verraten: Das gemeinsame Frühstück, das Bier am Abend, der Austausch mit anderen Radsportbegeisterten gehört ebenso dazu wie der ambitionierte Tritt in die Pedale. »Wir haben das Rennrad mit Anfang 30 für uns entdeckt. Heute sind wir zwischen 60 und 70 und flitzen immer noch stramm die Berge rauf. Zum Glück ist Radfahren gesund für Knie und Rücken, sodass man es im Alter noch betreiben kann. Und wenn es einmal nicht mehr anders geht, dann steigen wir eben aufs E-Bike um. Das ist hier im Verein keineswegs verpönt, sondern eine super Sache, um lange Strecken noch gut zu bewältigen!«
Neue Mitglieder herzlich willkommen!
Infos unter:
www.rvwitten.de · www.facebook.com/RadsportvereinWitten