»Ich bin ein Sommelier der Gewässer«
Im Gespräch mit dem Vater der ›Hartmut und ich‹-Welt
Seit 15 Jahren lieben Fans des kantigen Humors die Abenteuer von ›Hartmut und ich‹. Insgesamt erschienen sechs Teile über den verrückten Aktionisten und seinen gutmütigen Malocher-Freund im S. Fischer Verlag. 350.000 Exemplare fanden ihren Weg in die Bücherregale von Lesern im ganzen Land. Jetzt gibt es das Prequel zur Kultromanreihe: ›Lost Levels‹ erzählt, wie die legendärste Bromance der deutschen Gegenwartsliteratur begann. Hartmut und ich lernen sich in der Schule kennen. Der eine schon als Teenager ein Stoiker, der andere ein Revolutionär, der von der Tischtennisplatte herab das Volk mit Fischbrötchen speist. Abitur. Wilde Campingreisen mit dem VW-Bus. Zivildienst und Armee. Erste Liebe. Und schließlich: der Entschluss, eine WG zu gründen und nach Bochum zu ziehen … Die Autoren Uschmann/Witt sind hier in der Ecke keine Unbekannten. Szenen der Bücher spielen am Kemnader See und im Dunstkreis der Ruhr-Universität. Wir sprachen mit Oliver Uschmann über die Zusammenarbeit mit seiner Frau Sylvia, das spezielle Aroma von wilden Gewässern und darüber, warum Witten aus Bochumer Sicht eine Projektionsfläche ist.
Die Vorgeschichte zeigt die Helden aus ›Hartmut und ich‹ als Jugendliche. Wollen Sie eine neue Zielgruppe erschließen?
Das erste Drittel des neuen Romans spielt zwar in schulischen Gefilden. Ich würde ihn aber dennoch nicht als Jugendroman klassifizieren. ›Lost Levels‹ ist für erwachsene Menschen, die sich mit einer Mischung aus irritiertem Frohsein darüber, dass die Schule vorbei ist, und einem Hauch von Nostalgie bezüglich Kakaotrinkpäckchen und aus Granitstein hergestellten Tischtennisplatten an ihre eigene Jugend erinnern.
Sie schreiben als Duo. Sind Sie sich immer einig?
Wir ergänzen uns gegenseitig so sehr, wie Lennon und McCartney bei den Beatles. Wir sehen immer genau das, was der andere gerade nicht sieht. Selbst wenn wir gar nicht arbeiten wollen, während einer Autofahrt durch den Spätherbst oder im Garten mit den Katzen, können plötzlich die Keime von mehreren neuen Büchern entstehen. Wenn wir zusammen sind, dann sprudelt einfach die Quelle.
Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit?
Ein schönes Bild dazu habe ich neulich auf Instagram gepostet: über 100 DIN A4-Blätter mit notierten Szenen an der Wäscheleine im Keller, wo wir dann die Abfolge des Plots durch Umhängen bestimmen. Die Ausarbeitung geschieht je nach Buch so, dass wir Abschnitt für Abschnitt oder Figur für Figur abwechselnd schreiben. Oder man reicht den Text hin und her, und jeder bringt seinen Feinschliff ein, bis die Skulptur von uns beiden ausreichend bearbeitet wurde und wir schließlich davor stehen, die Hände in den Taschen, zufrieden auf das Werk schauen und sagen: Jetzt darf es in die Welt.«
Uns sind einige Parallelen zwischen Ihrer Frau Sylvia und der Freundin des Ich-Erzählers aus den ›Hartmut‹-Romanen aufgefallen: die grünen Augen, das künstlerische Talent … Da stellt sich die Frage: Wie viel Sylvia Witt steckt in der fiktiven Figur Caterina?
Gut beobachtet. Selbstverständlich stecken Sylvia und ich in ganz vielen Facetten der Charaktere. Sylvia spiegelt sich auch in Susanne, der anderen wichtigen Frauenfigur: dass sie im Gegensatz zu mir alles durchschauen und reparieren kann. Es erfüllt uns mit höchstem Stolz, dass wir vor geraumer Zeit die Schaltkulisse des alten Mercedes selber ausgetauscht haben. Da hat Sylvia recherchiert, wie Susanne es getan hätte, und in einer in unendlich vielen Schritten durchgeführten Operation dieses Auto gerettet. Ich habe assistiert und sie bewundert. Wenigstens habe ich nicht wie Hartmut im ›langen Hänger‹ daneben gestanden.
Der reale Oliver Uschmann findet sich also sowohl im Ich-Erzähler als auch in Hartmut wieder?
Absolut. Ich bin sowohl derjenige, der eigentlich in der Badewanne liegen oder auf dem Sofa Playstation spielen möchte, als auch der Kümmerer, der ständig die Welt zum Besseren aus den Angeln heben möchte, der dabei aber wie Hartmut sehr viel experimentiert und sich gar nicht so sicher ist, wie das gehen soll. Darüber hinaus tauchen Eigenschaften von mir in den Frauenfiguren auf, und Elemente von Sylvia in den Männerfiguren. Dazu kommen Einflüsse von Freunden, Bekannten und Verwandten.
Und auch reale Schauplätze fließen in die Geschichten mit ein …
Die wohl ikonischste Szene aus dem zweiten Band ›Voll beschäftigt‹ spielt auf dem Trödelmarkt am Kemnader See. Darin gründet Hartmut das Institut für Dequalifikation, um überqualifizierte Geisteswissenschaftler, die Fächer studiert haben, die auf höchstem Niveau in die Arbeitslosigkeit führen, malocherfähig zu machen. Ein Klient soll lernen, Smalltalk zu halten, tagsüber Bier zu trinken und Currywurst zu essen. Sie belauschen eine Gruppe von Leuten, die sich übers Wetter und über Krankheiten austauschen, während sie Wurst aus der Papierschale futtern.
Dabei werfen die Figuren sicher auch mal einen Blick nach Witten …
Aus Sicht derer, die auf der Bochumer Seite des Sees angesiedelt sind, ist Witten eine Projektionsfläche für das Edle, Gediegene, Etablierte. Allegorisch betrachtet ist Bochum sozusagen die Arbeiterklasse und Witten das Establishment. Der See ist aber auch in meinem realen Leben von Bedeutung. Von der real existierenden WG an der Wiemelhauser Straße 418 aus bin ich mit meinem damaligen Mitbewohner runter bis zur Kemnade gejoggt. Dann ganz rum um den See oder die Hälfte. Eine weite Strecke, die ich heute nicht mal mehr im Ansatz laufen könnte.
Und auf den Durst ein Schluck Seewasser? Oder woher kommt es, dass Sie Ihr Angesicht gerne in wilde Gewässer tunken?
Das hat erst mit dem dritten Teil ›Wandelgermanen‹ angefangen, der auf liebevoll satirische Weise radikale Naturromantiker thematisiert. Seitdem stecke ich meinen Kopf in jedes natürliche Gewässer, das ich finden kann, und bin sozusagen ein Sommelier der Gewässer geworden. Das Kemnader Seewasser beispielsweise hat etwas leicht Würziges, aber doch unglaublich Frisches und Kristallklares, was man von der Ruhr etwas weniger behaupten kann, obwohl die Zeiten der rauchenden Schlote und verschmutzten Flüsse im Ruhrgebiet ja glücklicherweise vorbei sind.
Sie sind nicht nur als Wandelgermane unterwegs, sondern auch als Live-Performer. Was verbindet Sie mit den Wittener Bühnen?
Viele schöne Erinnerungen! Zum Beispiel habe ich mal beim Zeltfestival Ruhr gespielt, auf der kleinen Open-Air-Stage zwischen den riesigen Zelten. Vorne saßen aufmerksame Menschen starr wie Findlinge im Wasser. Dahinter floss das Laufpublikum, das sich zähflüssig wie ein verschlammter Fluss an den Sitzenden vorbeischob. Und manchmal hielten die dann an, sodass andere hinten auf sie draufbumperten wie menschliche Autoscooter. Es gibt kaum ein schöneres Kompliment für einen Stand-up-Künstler. Außerdem unvergesslich: das Live-Gespräch im Maschinchen Buntes Anfang 2019. Ein wirklich schöner, kleiner Laden. Ich war dort im Rahmen einer Veranstaltung des gebürtigen Witteners Stefan Ludwig, der prominente Menschen bei Spaziergängen um den Phönixsee interviewt und daraus Bücher macht, wobei das Besondere ist, dass Stefan gehbehindert ist. Unvergesslich war der Auftritt auch deswegen, weil mein Auto auf dem Rückweg auf der Autobahn nicht mehr aus dem ersten Gang hochschaltete, sodass ich von dem Lkw hinter mir schon ärgerlich belichthupt wurde. Das war übrigens der Beginn der defekten Schaltkulisse, die Sylvia später repariert hat.
Oliver Uschmann & Sylvia Witt · ›Lost Levels‹
Edition Hombrede · 12 Euro
www.hombrede.de
Verlosung: Wir verlosen ein Exemplar von ›Lost Levels‹. Einfach bis zum 20.12.20 eine E-Mail mit dem Betreff ›Hartmut‹ an info [at] stadtmag.de senden und mit etwas Glück gewinnen.