Die Welt wird besser
Wir sind irgendwo zwischen Winter und Frühling 2022. Draußen ist immer noch Pandemie. Fast seit zwei Jahren. Irgendwie zieht sich das Ganze. Die Spannung der ersten Wochen und Monate ist verflogen. Verliebt waren wir in den Virus nie, aber irgendwie ist es wie beim Verliebtsein: Am Anfang ist alles Neue faszinierend und aufregend.
Auch das ist nun weg. Zurück bleibt nur der Alltag mit einem potenziell schwer gesundheitsgefährdenden Virus, der uns nicht allzu bald wieder in Ruhe lassen wird.
Alles nicht so leicht. Vor allem für diejenigen von uns, die beengt wohnen, wirtschaftliche Sorgen haben, gesundheitliche Angst haben, betroffen sind oder jemanden durch Covid verloren haben. Für diejenigen, die sich besonders einschränken müssen und diejenigen, die Sorge davor haben sich einschränken zu müssen.
Das Leben hat sich verändert in der Zeit seit Anfang 2020.
Es gibt ein neues ›Normal‹, mit dem wir alle umgehen lernen. Nach und nach, Stück für Stück. An vielen Stellen knirscht und knarzt es. Leicht ist es nicht.
Alles doof? Nein.
Jedoch ist es eine Herausforderung, den eigenen Fokus von der alltäglichen Suche nach dem neuen Normal auf das zu richten, was schon da und gut ist.
Von jetzt auf gleich gab es eine neue, unbekannte Krankheit. Nur wenige Monate danach wurden die ersten Menschen dagegen geimpft. Viele Menschheitsgenerationen mussten mit solchen Herausforderungen umgehen. Wir sind die erste Generation, in der es rasch vielversprechende Hilfe gab.
Ich finde das besser.
Gleichzeitig haben wir einen schier unbegrenzten Zugang zu Informationen, auf den wir fast kostenlos zugreifen können. Diese Zugänge sind weder an Bildung, Alter, Geschlecht oder sonst was gebunden. Internet an, und schon geht es los.
Ich finde das besser.
Wir leben in einer Zeit der globalen Zusammenarbeit und der globalen Kommunikation, haben Zugang zu anderen Ländern, Kulturen und Religionen. Wir können glauben und machen was wir wollen. Solange wir damit keinen anderen Menschen verletzen.
Ich finde das besser.
In der Medizin und Pädagogik schauen wir immer mehr auf die Seele, die Psyche und achten das ›Menschsein‹ in seinen vielen Facetten, anstatt nur mechanistisch auf eine Lösung zu beharren. Wir können es uns leisten, auf Tierschutz, Naturschutz und gleichzeitig auf Lebensqualität zu achten. Wir können sogar regionale Lebensqualitätsentwürfe übernehmen und hygge werden.
Ich finde das besser.
Wir haben Kaffeevollautomaten, Teemaschinen, Kühlschränke, elektrische Garagentore, elektrische Autos, automatische Futtermittelspender für Vögel, Hunde und Katzen, Luftfilter und Lufterfrischer.
Ich finde das besser.
Wir können unseren Kot klären und dabei sogar klären, ob eine Corona-Welle rollt. Wir heizen mit der Sonne und reinigen unsere Häuser chemiefrei. Wir denken über die Lebensqualität unserer Nutztiere nach und überlegen, ob wir überhaupt noch tierische Produkte zur gesunden Ernährung brauchen.
Ich finde das besser.
Wir rauchen immer weniger und leben immer länger. Wir füllen dieses immer längere Leben mit Sinn, auch in den späteren Lebensjahren. Im Supermarkt haben wir die Auswahl zwischen einer sehr großen Menge an Marmeladen.
Ich finde das besser.
Wir haben Netflix, Prime, Disney+ und Co., sind unser eigener Programmdirektor. Thomas Gottschalk haben wir trotzdem noch. Wir haben Südfrüchte und Recycling und planen unsere Städte für Menschen, nicht für Autos.
Ich finde das besser.
Wir haben die NATO, die EU und die UNO. Dort wird gesprochen und nicht geschlagen. Wir sind Kosmopoliten und pflegen trotzdem unsere regionalen Brauchtümer. Wir haben Backmischungen, Internetradio und mehr Balkone an Mietshäusern.
Ich finde das besser.
Wir trinken alkoholfreies Bier und feiern alkoholfreie Abendmahle. Wir züchten immer schmackhaftere Tomatensorten und sind religiös liberal.
Ich finde das besser.
Wir haben weniger Tabus und mehr Zahnersatz, Antibeschlag-Brillengläser und Brillen, die weniger drücken. Wir haben Barfußschuhe und Niedrigtemperaturkocher. Unsere Fritteusen sind voller heißer Luft. Wir denken über Saatgut nach und über Verhütung, über Kinderrechte und Familienmodelle.
Ich finde das besser.
Ich bin nicht naiv. Die meisten der oben genannten Punkte sind nicht nur einseitig zu betrachten. Sie haben zwei Seiten, von denen jeweils eine nicht nur positiv ist. Die meisten der Aussagen oben lassen sich drehen und wenden und weltbildlich auslegen. Auch so eine Sache: Wir können unser Weltbild heute selbst gestalten. Völlig frei.
Ich finde das gut. Besser für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt ist das aber nur bedingt.
Die Welt wird besser. Wahrscheinlich noch nie haben Menschen so sicher gelebt wie wir heute in Deutschland. Noch nie gab es so viel freie Entfaltungsmöglichkeiten wie heute. Noch nie gab es so wenig Kindersterblichkeit und so viele Studienabschlüsse. Noch nie waren wir sozial so gut abgesichert, wie in unserer Zeit. Selten hat Demokratie so geräuschlos funktioniert wie in unseren Tagen.
Im Alltag bemerken wir das kaum. Es ist ja normal. Wir leben so. Und das ist großartig. Für viele von uns ist Corona die erste ernste Einschränkung im Leben. Krankheit, Tod, Trauer und Angst lassen sich nicht mehr ganz so einfach zur Seite schieben wie vorher.
Eine Chance
Das ist eine Chance für uns alle. Jetzt ist der optimale Zeitpunkt dafür, sich auf das zu fokussieren, was gut ist, was uns dankbar macht. Im großen und im ganz kleinen unmittelbaren Umfeld. Es geht nicht darum, blauäugig zu werden oder ein notorischer Optimist.
Es geht darum, den eigenen Fokus gezielt auf das zu richten, was gut ist, neben allem, was gerade nicht passt oder anders sein sollte. Es geht darum, aus Solidarität gesellschaftliche Kohäsion entstehen zu lassen. Dazu muss ich nicht jeden um mich herum arglos oder freundschaftlich begegnen. Aber ich kann versuchen zu verstehen, dass wir gerade alle an unserem ganz persönlichen neuen ›Normal‹ arbeiten. Dabei können wir uns unterstützen, indem wir mit Wohlwollen auf unsere Umgebung schauen. Nicht naiv, aber mit dem erklärten Ansatz erstmal das Gute zu sehen.
Die Welt wird besser, und wir dürfen uns damit manchmal einfach wohlfühlen.
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