Kabarettist René Sydow
»Ich stehe auf der Titanic und moderiere fröhlich den Untergang«
Neulich beim Fechten in einer stickigen Bochumer Turnhalle. Nach einem wilden Duell kommt die Fechterin mit ihrem Gegner ins Gespräch. Ein gemeinsames Interesse an Kunst und Kultur kristallisiert sich heraus. Der Fechter erzählt, dass er René heißt, Kabarettist ist und in Witten wohnt. René, und weiter? Sydow. Der Name sagt mir was, denkt sich die Fechterin, die, wie es der Zufall will, beim Wittener Stadtmagazin als Redakteurin arbeitet. Auch das Gesicht ihres Gegenübers kommt ihr plötzlich bekannt vor – ey, der Typ scheint richtig berühmt zu sein! Was liegt da näher, als ihn schnell um ein Interview zu bitten? Voilà, meine Damen und Herren. Wir präsentieren: René Sydow, ein Meister der Waffen und Worte.
Wie zum Teufel wird man hauptberuflicher Kabarettist? Stammst du aus einer dieser Künstlerfamilien?
Gar nicht. Der einzige große Künstler in meiner Verwandtschaft war der Schauspieler Max von Sydow, mit ihm hatte ich aber nicht viel zu tun. Meine Mutter und Großmutter, bei denen ich aufwuchs, waren Hausfrau und Kosmetikerin. Sie haben mein kreatives Interesse jedoch immer unterstützt und mich oft mit ins Theater genommen. Als Kind durfte ich auch ›Scheibenwischer‹ gucken. Die Sendung habe ich damals zwar nicht verstanden, fand sie aber irgendwie gut. Mit sechzehn in der Schule begann ich, selbst Stücke zu schreiben, zu inszenieren und Theater zu spielen, gerne die dicken Rollen.
Du warst also schon als Teenager ein Bühnenstar?
Leider waren bei uns am Gymnasium eher die Sportler beliebt. Das waren die coolen Typen. Wir Theaterleute waren … na ja. Man kann sagen, dass ich das nicht aus Prestige-Gründen gemacht habe. Mit dem Fechten fing ich eigentlich auch nur an, weil ich Musketier-Filme drehen wollte. Nach dem Abitur arbeitete ich dann zunächst tatsächlich als Schauspieler und Regisseur. Zum Kabarettisten wurde ich erst Jahre später – weil meine Frau mich gezwungen hat.
Ernsthaft? Deine Frau – die Singer-Songwriterin Fee Badenius – wirkt doch eigentlich ganz nett …
Aber es ist wahr! Ich hatte bereits einige satirische Texte bei Poetry Slams in der Wittener WERK°STADT vorgestellt. Im Jahr 2012 zwang Fee mich, diese bei einem Kabarett-Wettbewerb einzureichen, dem ›Rostocker Koggenzieher‹. Ich dachte: Wenn ich die Vorrunde überstehe, ist das schon ein Erfolg. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich nach der Vorrunde auch noch das Finale gewinnen würde. Als Sieger sollte ich am Folgetag ein abendfüllendes Soloprogramm spielen – so etwas hatte ich gar nicht! Also verbachte ich die Nacht im Hotel damit, alle meine Texte zusammenzukratzen, ein zusammenhängendes Programm zu basteln und dieses auswendig zu lernen. Der Auftakt zu insgesamt zwölf Preisen und vielen Fernsehauftritten in einem Jahr. Danach war klar: Jetzt mache ich nur noch das.«
Was war dein bisher schrägster Auftritt?
Ich sollte mal ein Punk-Festival in der WERK°STADT ankündigen und musste nach zwei Minuten abbrechen, weil die nur mit Pogo beschäftigt waren. Das war hart. Noch schlimmer war aber mein Auftritt beim traditionellen Spargelessen des Deutschen Bundestages. Da saßen die Leute, um die es ging, man konnte sie frontal beleidigen, und es war ihnen völlig egal – Hauptsache, der Spargel schmeckt.
Das Motto deiner aktuellen Show lautet: ›In ganzen Sätzen‹. Was erwartet uns?
Wie der Titel andeutet, geht es um Sprache: in der Politik, den Medien und auf der Straße. Ich beschäftige mich zum Beispiel mit Jugendsprache, Gendersprache und der Sprache der Apokalypse, wie sie von der Letzten Generation verwendet wird. Irgendwann landet man dann unweigerlich bei brisanten aktuellen Themen wie dem Ukrainekrieg oder dem Klimawandel.
›Dabei spricht er an und aus, was in unserer Sprache und Gesellschaft verschleiert, totgeschwiegen und zerredet wird‹, heißt es in der Programmankündigung. Wie stufst du deine Rolle als Künstler ein? Was kannst du von der Bühne aus gegen Missstände bewirken?
Nichts. Der Klimawandel beispielsweise ist nicht aufzuhalten. Wir müssen vielmehr schauen, wie wir mit der veränderten Welt und den zunehmenden Naturkatastrophen umgehen. Ich stehe auf der Titanic und moderiere fröhlich den Untergang. Damit wir bei der Apokalypse möglichst viel zu lachen haben.
Mit welchem Promi würdest du gerne noch schnell ein Bier trinken, ehe das Schiff sinkt?
Wenn man auf kluge Menschen trifft, ist das immer ein Gewinn – es müsste also nicht zwangsläufig jemand Prominentes sein. Die Begegnung mit Idolen kann überdies sehr ernüchternd sein, nachher ist man vielleicht enttäuscht. Im Rahmen meiner Arbeit durfte ich Vorbilder wie Volker Pispers, Alexander Kluge und Mathias Richling kennenlernen – das waren angenehme Zeitgenossen, aber ich möchte mein Glück nicht herausfordern. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde meine Wahl wohl auf den viel zu früh verstorbenen Roger Willemsen fallen, dem ich nur einmal ganz kurz auf der Buchmesse begegnet bin. Schon innerhalb dieser zehn Minuten wurde klar: Er tut nicht so, er ist wirklich so herzlich und interessiert an allen.
Zum Abschluss bitte noch ein paar warme Worte: Was möchtest du an der Welt loben?
Bücher, Musik, Filme, Kunst. Diese Dinge sind das Erhabenste und Schönste, das die Menschheit hervorbringt. Wenn ich die Vorstellungen von Kabarettkollegen besuche, auf Lesungen gehe, Musik höre, ist das für mich ein Quell des Glücks.
TERMINtipp
17.02. · 20 Uhr · Kultur auffem Hügel
Ev. Kirchengemeinde am Steinhügel in Witten-Heven
Alle Termine & Infos www.rene-sydow.de