Tierisch kuht!
Der Verein Schokuhminza e.V. ermöglicht geretteten Rindern ein Leben in Freiheit und regt Bürger sowie Landwirte zum Nach- und Umdenken an
Manchmal führt eine kleine Begegnung zu etwas ganz Großem. So war es bei Angelina Dobrowolny und dem Holstein-Ochsen Tobi. Als sie sah, unter welch schrecklichen Bedingungen er sein Leben fristen musste, setzte sie einen Post auf Social Media ab. Die Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft führte nicht nur zu Tobis Rettung, sondern auch zur Gründung des Vereins Schokuhminza sowie zur Pacht eines Lebenshofes in Witten. Hier wohnt das Glück auf mittlerweile 44 Hufen.
Heißgeliebter ›Teddybär‹
Wenn diese rund 500 Kilogramm langsam auf einen zugestakst kommen, stockt einem erst einmal der Atem, bevor die Verzauberung einsetzt. Neugierig erschnüffelt die große Nase des Bullen den Besuch, während die großen Augen mit den langen Klimperwimpern genau verfolgen, was passiert. Nicht umsonst wird Bastian mit seiner braunen, wuscheligen Haarpracht auf dem Lebenshof des Vereins Schokuhminza auch Teddybär genannt. Bei seiner Geburt in einem landwirtschaftlichen Betrieb für Fleischerwerb war er sehr schwach und drohte zu sterben. Seine Sanftmut und sein toller Charakter retteten ihm vermutlich das Leben. Denn die Landwirtin und ihre Kinder, die ihn mit der Flasche großzogen, hatten ihn so ins Herz geschlossen, dass sie ihn nicht schlachten lassen konnten. Also suchten sie einen Lebensplatz für ihn – und wurden bei Schokuhminza fündig. »Bastian liebt es zu kuscheln, ist sehr aufgeschlossen und geht auf jeden Menschen zu«, erzählt Angelina Dobrowolny. Gemeinsam mit zehn weiteren Rindern lebt der heute 7-Jährige auf dem Lebenshof in Herbede, den die 35-Jährige seit April 2024 gepachtet hat.
Rinder als beste Botschafter
Der ehemalige Pferdehof war damals in einem schlechten Zustand. Viele Helferinnen und Helfer packten jedoch mit an, schafften Mengen an Müll beiseite, machten die Ställe für die Offenstallhaltung nutzbar und umzäunten die riesige, fünf Hektar große Weidefläche. Heute haben die geretteten Rinder hier ein Paradies mit viel Auslauf, Bäumen, Büschen, Kratzmöglichkeiten sowie verschiedenen Rückzugsflächen. Dies zu sehen und die traurigen Geschichten der Tiere zu erfahren, bewegt fast alle, die den Hof besuchen. »Das Steak bekommt hier ein Gesicht«, sagt Angelina Dobrowolny. Statt den Zeigefinger zu erheben und die Massentierhaltung anzuprangern, sprächen die Tiere für sich selbst: »Sie sind unsere besten Botschafter. Denn durch ihre Geschichten und die Begegnungen mit ihnen sorgen wir dafür, dass immer mehr Menschen klar wird, dass Tiere nicht für uns, sondern mit uns auf dieser Erde leben.«
Tierisch schöne und aufregende Zeit
Tierschutz war schon immer Teil ihres Lebens. »Meine Mutter hat im Tierheim in Castrop-Rauxel gearbeitet und als Kind durfte ich sie oft begleiten«, erzählt Angelina Dobrowolny. Ihr erstes gerettetes Tier hatte kurze Beine und einen starken Charakter: Der 3-jährige Dackel des Nachbarn war epilepsiekrank, stark übergewichtig und sollte eingeschläfert werden. Angelina Dobrowolny nahm ihn zu sich – er wurde 16 Jahre alt. Und dann kam Jahre später Tobi, der Holstein-Ochse, mit dem für die Tierschützerin eine tierisch schöne und aufregende Zeit begann. Tobi wurde in einem Milchbetrieb geboren, hatte krumme Beine und konnte nicht richtig laufen. Bis zu seinem 15. Lebensmonat lebte er angekettet in einem dunklen, fensterlosen Stall. »Durch seine Befreiung hat er mir meine Freiheit gegeben, das zu tun, was meine Leidenschaft ist«, sagt die 35-Jährige, die eigentlich als Betriebswirtin an der Ruhr-Uni Bochum arbeitet. Seit der Geburt ihrer Tochter ruht derzeit ihr Vertrag, so dass sie viel Energie und Leidenschaft den elf Rindern auf dem Lebenshof widmen kann.
Namensgeberin Pippi Langstrumpf
Der Vereinsname Schokuhminza ist abgeleitet von ihrer Kindheitsheldin Pippilotta Viktualia Rollgardina Schokominza Efraimstochter Langstrumpf. »Sie macht sich die Welt so, wie sie ihr gefällt. Und wir machen sie nun so, wie sie den Rindern gefällt«, meint die gebürtige Hernerin. Mittlerweile hat der Verein 20 ehrenamtlich aktive sowie mehr als 350 fördernde Mitglieder. Finanziert werden die Futter-, Tierarzt-, Strom-, Stroh- und Pachtkosten über Spenden, Fördermitgliedschaften und Patenschaften (siehe Kasten ›Vielfältiger Support‹). Neben der Teilzeitstelle von Angelina Dobrowolny übernimmt die Hamburger Bastet Stiftung bis Ende 2025 zudem die Kosten für zwei weitere Stellen – und zwar für die vereinseigene Initiative ›Kuhnection‹, die deutschlandweit immer größere Kreise zieht (siehe Kasten ›Einzigartig: ›Tinder für Rinder‹‹). Denn im Laufe der Zeit kamen mehr und mehr Gleichgesinnte, die einen Lebensplatz für ein gerettetes Rind suchten. »Also sprachen wir Landwirtinnen und Landwirte an, ob sie nicht Pensionsplätze zur Verfügung stellen wollten«, erzählt die 1. Vorsitzende. So entstand die Initiative ›Kuhnection‹, die Landwirtinnen und Landwirte bei der Umstrukturierung ihres Nutztierbetriebes unterstützt. Rund 30 Höfe haben ihre Nutztierhaltung bereits ganz aufgegeben und ihre Betriebe in Lebens- und Pensionshöfe umgewandelt. »Anfangs wurden wir eher belächelt, aber es gibt immer mehr Landwirte, die mit dem System nicht mehr einverstanden sind und sich mit einem Pensionshof eine alternative, sichere Einnahmequelle schaffen«, sagt Angelina Dobrowolny.
Jede Menge neue Ideen
Zur nächsten Weidesaison erhalten zwei weitere Rinder auf dem Wittener Lebenshof ein neues Zuhause. Mit den Ochsen Odin und Alwin ist die Aufnahmekapazität der Huftiere erschöpft – im Gegensatz zum Ideen- und Aktivitätenreichtum der Vereinsmitglieder. »Im Sommer sollen Kleintiere hier einziehen sowie die Werkstatt und andere Gebäudeteile in Schuss gebracht werden«, erläutert die 35-Jährige die Planungen, zu der auch der Aufbau von lokalen Unternehmenskooperationen zählt. Mit ›Kuhniversity‹ soll zudem eine Wissensdatenbank entstehen, die sämtliche Infos rund ums Rind versammelt.
Einzigartig: ›Tinder für Rinder‹
Immer mehr Landwirtinnen und Landwirte sind bereit, Rindern ein schlachtfreies, würdevolles Leben zu ermöglichen. Sie nehmen Tiere in Pension auf, die einen eigenen Besitzer haben, der dieses Rind selbst finanziert, jedoch keinen eigenen Hof besitzt. Um alle Akteure zusammenzubringen, hat der Verein die Initiative ›Kuhnection‹ gegründet. Wer auf der Suche nach einem Lebensplatz für ein Rind ist, findet auf der Rindervermittlungsplattform www.kuhnection.de – eine Art ›Tinder für Rinder‹ – geeignete Pensionsplätze.
Alle Pensionshöfe, die hier registriert sind, wurden vom Schokuhminza-Team zertifiziert. Je mehr Tierwohl sie bieten, desto höher fällt die Zertifizierung (Gold-Silber-Bronze) und auch der Preis pro Monat und Tier (zwischen 150 und 250 Euro) aus. Die Höfe werden regelmäßig besucht, um einen hohen, dauerhaften Tierwohl-Standard sicherzustellen.
Vielfältiger Support
Wer die Arbeit von Schokuhminza unterstützen möchte, kann dies auf unterschiedliche Weise tun. Eine Fördermitgliedschaft ist schon ab einem Betrag von 5 Euro im Monat möglich, die Höhe beliebig festlegbar. Neben einmaligen oder regelmäßigen Spenden kann man zudem für Bastian, Bronko sowie die anderen Rinder eine Patenschaft übernehmen oder verschenken. Damit wird das Leben der Schokuhminza-Schützlinge sowie das Engagement des gemeinnützigen Vereins abgesichert. Wer sich entschließt, künftig keine Produkte mehr zu konsumieren und zu finanzieren, die Tierleid verursachen, erhält auf der Homepage des Vereins zahlreiche Infos und Rezepte rund ums vegane Leben.
www.schokuhminza.de
